Im Reichstage (1870 bis 1874) 17
Journal.
München, 15. August 1870.
Gestern um ½6 Uhr früh Ankunft in München. Beim Aussteigen
sah ich auf dem freien Platze vor den Wartesälen einen Trupp Leute in
Zivil mit Militärmützen. Ich glaubte zuerst, es seien Rekruten, doch
machte mich Fritz!) darauf aufmerksam und sagte, es seien Krankenpfleger,
die auf den Kriegsschauplatz gingen. Nun sah ich mir die Leute näher
an und fand, daß es lauter mir bekannte Persönlichkeiten aus der Stadt,
Gelehrte, Kommis u. s. w., waren, die auf der Mütze und am Arme das
Rote Kreuz hatten. Auch Professor Carrière war dabei, der sich in dem
halbmilitärischen Aufzug sehr sonderbar ausnahm. Gustav Castell findet
diese durch den jungen Schulze organisierte Expedition sehr unpraktisch,
aber sie beweist den unwiderstehlichen, alle Klassen durchdringenden Wunsch
der Bevölkerung, an dem großen Kampf in irgendeiner Weise tätig zu
sein. Um Mittag waren zwei erbeutete Kanonen vor die Residenz gebracht
worden. Sie blieben den ganzen Tag dort stehen, und ich sah sie mir
an, indem ich mich durch die Menge drängte. Es sind keine Hinterlader,
welche die Franzosen überhaupt nicht haben, sind aber gezogen. Im
übrigen sahen sie schlecht aus. Die Frage des „Nachher“ wird hier
privatim viel besprochen. Gestern Abend fand ich Mohl, Werthern und
Usedom im „Café National“. Sie waren alle über Bray unzufrieden,
und Werthern behauptet, zu meiner Zeit habe ein rückhaltloserer Verkehr
mit den Gesandten bestanden als jetzt. Ich glaube, Bray weiß nichts
und tut so, als sei er lediglich zugeknöpft. Daß der bayrische Partikularis=
mus durch den Krieg eher gekräftigt wird, scheint mir ziemlich wahrschein-
lich. Lange wird die Freude aber nicht dauern.
München, 17. August 1870.
Gestern früh mit Völderndorff über die Frage der Verfassungsprojekte
gesprochen. Tauffkirchens Projekt ist wohlgemeint, aber unpreaktisch.
Tauffkirchen ist jetzt nach der Pfalz, um dort im Interesse des Vereins
für Verwundete zu verhandeln und manche Irregularitäten mit Görtz zu
bereinigen. ·
Um 11 Uhr ging ich auf den Klub und in das Süddeutsche Kor-
respondenzbureau und erhielt die Nachrichten von dem Gefecht vor Metz.
Um ½2 Uhr zu Castell zum Essen, wo ich Schanzenbach fand, der uns
Details über den Tod seines Schwagers, des Majors von Schlichtegroll,
mitteilte. Dieser fiel bei einem Angriff bei Wörth, von einer Kugel im
Unterleib getroffen, und starb sogleich. Die Bayern haben dort viele Leute
1) Prinz Wittgenstein.
Fürst Hohenlohe, Denkwürdigkeiten. 2