Full text: Denkwürdigkeiten des Fürsten Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst. Zweiter Band. (2)

Botschafter in Paris (1874 bis 1885) 267 
sei ein Idiot, Greigh ganz unfähig. Der Kaiser hat letzterem nach einem 
Vortrage gesagt: „Bis jetzt habe ich geglaubt, ich sei der Mann in Ruß- 
land, der von Finanzsachen am wenigsten versteht. Ich sehe aber, daß 
ich mich geirrt habe und daß du der Mann bist.“ Trotzdem behalte ihn 
der Kaiser. Wenn man behaupte, es gebe in Rußland keine Männer, 
die zur Leitung der Geschäfte fähig wären, so sei das ganz falsch. Er 
nannte verschiedene tüchtige Beamten und Advokaten aus der Provinz. 
Wenn dieser Augenblick, Rußland zu retten, vorübergeht, werde ein all- 
gemeiner Verfall eintreten. An Revolution glaubt Turgenjew nicht. Die 
Regierung habe Macht genug, die Ordnung mit Gewalt aufrechtzuerhalten. 
Als er einen ehemaligen Minister, einen konservativen Mann, fragte, in 
welcher Weise die Zustände gebessert werden könnten, antwortete dieser 
nichts als: „Vis medicatrixk naturae.“ Auf den Tod des Kaisers und 
auf den Nachfolger setzen die Russen jetzt ihre Hoffnung. Daß das Leben 
des Kaisers durch die nihilistischen Mörder bedroht sei, verneinte Tur- 
genjew. Sie hätten eine bestimmte Theorie, von der sie bei ihren Mord- 
taten ausgingen. Es komme ihnen nur darauf an, Beamte, die grelle 
Gesetzesverletzungen und Ungerechtigkeiten begangen haben, zu bestrafen und 
dadurch zu erschrecken. Dem Kaiser würden sie nichts tun. 
Turgenjew ist im Begriffe, eine politische Broschüre zu schreiben, in 
der er die Gedanken niederlegen will, die sein Aufenthalt in Rußland in 
ihm hervorgerufen hat. 
Daß seine Anwesenheit der Regierung unbequem zu werden anfing, 
ist begreiflich. Der Gendarmerieoffizier an der Grenze sagte ihm, als er 
durchkam: „Wir haben Sie schon seit fünf Tagen erwartet.“ 
Wenn ich der Kaiser Alexander wäre, so würde ich Turgenjew be- 
auftragen, ein Ministerium zu bilden. 
Paris, 4. Mai 1879. 
Heute machte ich Herrn Grévy meinen Abschiedsbesuch vor meiner 
bevorstehenden Abreise nach Berlin. Er empfing mich in seinem blauen 
Morgenanzug. Er war im Garten gewesen und hatte sich seine Anlagen 
angesehen. Wir sprachen von der inneren Lage Frankreichs, und er be- 
stritt, daß Grund zur Beunruhigung vorliege. Die Schwierigkeiten seien 
nicht so groß, wie man sie mache, und die Fragen, die vorliegen, würden 
erledigt werden. Wenn die Kammer nicht mehr das Wahlgesetz achte, 
so könne man zur Wahl von Minderjährigen, Fremden und Frauen 
kommen. Die äußerste Linke scheine für Blanqui, „mais il n'y a pas 
trois qui désirent le retour de Blanqui et son entrée à la chambre“. 
Er würde sie nur genieren. Er und andre Demagogen würden weiter 
gehen als die jetzige äußerste Linke, und deren jetzige Führer würden ihre 
Popularität verlieren.
	        
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