Full text: Denkwürdigkeiten des Fürsten Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst. Zweiter Band. (2)

270 Botschafter in Paris (1874 bis 1885) 
Um 5 Uhr war ich bei Sagan zum Essen geladen. Der Kaiser war 
anwesend. Das Diner war erstickend durch die Hitze im Eßsaal, die 
Küche mittelmäßig und die Weine schlecht, mit Ausnahme des Cham- 
pagners. Ich hatte langweilige Nachbarn. Abends bei Viktor und dann 
bei Gräfin Dönhoff. Zuletzt ging ich noch zu Bismarck. Er kam sehr 
spät, da er, wie er uns erzählte, mit seinen stenographischen Berichten so 
lange zu tun gehabt hatte. Die Stenographen hatten die Nummern der 
Blätter verwechselt, so daß Bismarck eine lange Arbeit anwenden mußte, 
um sich zurechtzufinden. Da er nun schon übler Laune war, so fiel er 
auch über mich und Frankenberg her und tadelte, daß wir die Absicht ge- 
habt hatten, mit den Nationalliberalen zu verhandeln, während es doch 
jetzt darauf ankomme, die Majorität zusammenzuhalten. Die National-= 
liberalen hätten sich den Freikonservativen gegenüber so schlecht benommen, 
daß man nicht mehr mit ihnen gehen könne. Ich sagte, ich sei von der 
Voraussetzung ausgegangen, daß die Nationalliberalen mit uns verhandeln 
wollten, und sei durch wohlgesinnte süddeutsche Mitglieder der national- 
liberalen Fraktion zu dieser Annahme berechtigt gewesen. Das nahm 
Bismarck aber nicht an, wiederholte, man müsse jetzt die Nationalliberalen 
fallen lassen und erst mit Hilfe des Zentrums die Tarifvorlage durch- 
bringen. Nachher wurde er wieder heiter, und die Konversation dauerte 
bis 1 Uhr. 
Berlin, 25. Mai 1879. 
Gestern aß ich bei Kusserow, wo auch Bucher war. Wir gingen 
nachher zu Fuß zur Soiree des Reichskanzlers. Unterwegs sprach ich mit 
Bucher über den Reichskanzler. Er war gegen seine Gewohnheit mitteilsam 
und sagte, der Reichskanzler ergreife jede Sache mit großem Eifer und 
führe sie durch, wenn er einmal überzeugt sei, daß sie durchgeführt werden 
müsse. Mir ging aus einzelnen Aeußerungen hervor, daß Bucher, wie 
mir das schon bekannt war, Einfluß auf den Reichskanzler ausübt. Und 
es scheint, daß es Buchers Einfluß ist, der ihn zu der neuen Wirtschafts- 
politik bestimmt hat. Wenn Bamberger dem Reichskanzler sozialistische 
Anwandlungen vorwirft, so geht das ohne Zweifel gegen Bucher. Bam- 
berger will die unbeschränkte Herrschaft des Kapitals, Bucher als Sozialist 
will die Macht des Staats nicht durch die Juden beschränken lassen. 
Darin liegt der Gegensatz. 
Abends in der Soiree war keine sehr heitere Stimmung. Ich höre, 
daß Bismarck dem Zentrum nicht traut, wenn er auch alles tut, um es 
zu gewinnen. Da er keine Konzessionen im Kulturkampf machen will, so 
muß er immer darauf gefaßt sein, daß sie ihn im entscheidenden Augen- 
blick im Stiche lassen.
	        
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