Botschafter in Paris (1874 bis 1885) 271
Berlin, 11. Juli 1879.
Die Reichstagsverhandlungen gehen fort und sind, da sie Morgens
um 10 Uhr anfangen und um 5 Uhr aufhören, ziemlich ermüdend, be-
sonders in den letzten Tagen, wo interessante und wichtige Reden gehalten
wurden. 1) Die Völksche Rede gestern war wieder einmal recht klar und
vernünftig. Die Nationalliberalen sind darüber sehr wütend, und Völk
und die übrigen Bayern werden wohl aus der Partei austreten und sich
einer der Fraktionen rechts anschließen. Nachmittags fuhr ich mit Viktor
nach Potsdam, wo wir beim Kronprinzen zum Tee eingeladen waren.
Der Kronprinz sprach von dem Franckensteinschen Antrag und schien da-
gegen Bedenken zu haben. Wir suchten sie ihm auszureden. Dann kam
die Kronprinzessin. Sie schien noch sehr gedrückt, heiterte sich aber nach
und nach auf. Man trank Tee und soupierte, und um 8 Uhr wurden
wir wieder entlassen.
Abends zum Reichskanzler. Er war sehr mitteilend. Das Gespräch
kam auf Daten. Es wurde hervorgehoben, daß der Kongreß im vorigen
Jahre am 13. Juni angefangen habe und am 13. Juli beendigt worden
sei. Die Fürstin meinte, das sei gut, um den Aberglauben bezüglich der
Zahl 13 zu beseitigen. Daß der Reichstag am 13. Juli geschlossen werden
würde, nahm man als wahrscheinlich an. Bismarck erzählte, daß er am
13. Juli 1870 das Telegramm abgeschickt habe, welches die Franzosen
zum Kriege veranlaßt habe. Wäre dies nicht gelungen, so hätte man die
Demütigung unfrerseits hinnehmen müssen, und die Zustände wären ver-
sumpft. Er erwähnte, daß Werthern damals einen Entwurf eines Briefs
an den König Wilhelm geschickt habe, den dieser hätte unterzeichnen sollen
und in welchem Entschuldigungen enthalten waren und Versprechen, es
nicht wieder tun zu wollen. Der König habe den Brief ihm zur Be-
gutachtung geschickt, und er habe sofort Werthern vom Amte suspendiert:
„Es war die größte Feigheit, deren sich ein Diplomat schuldig machen
konnte.“ Dann sagte der Reichskanzler: „Es würde mich doch amüsieren,
wenn der Prinz Napoleon an die Rolle käme. Als Franzose möchte ich
ihn nicht. Als Nachbar wäre er mir schon recht.“ Dann kam das Ge-
spräch auf Gortschakow. Früher habe man ihm in Deutschland stets einen
Waggon zur Verfügung gestellt, und die Reise hätte das Auswärtige Amt
immer elfhundert Mark gekostet. Jetzt aber, wo er sich schlecht aufführe,
habe er, der Reichskanzler, getan, als wisse er von der Reise nichts. Und
nun müsse der geizige Herr die Reise selbst bezahlen. Spitzemberg, der
auch da war, bemerkte, daß die Russen die württembergische Staatsbahn
mit Freibilletts und freien Zügen sehr belästigten.
1) Bei der dritten Lesung des Zolltarifgesetzes vom 10. bis 12. Juli.