Botschafter in Paris (1874 bis 1885) 275
16. August.
Gestern die Akten gelesen und mit dem Fürsten gesprochen. Bismarck
hat mich doch überzeugt von der Notwendigkeit der Allianz mit Oester-
reich. Er sagt, Oesterreich kann nicht allein bleiben gegenüber den Be-
drohungen durch Rußland. Es wird sich nach Allianzen umsehen ent-
weder mit Rußland oder mit Frankreich. In beiden Fällen entsteht für
uns die Gefahr der Isolierung. Mein Telegramm über die russischen
Sondierungen in Paris ist dem Kanzler sehr gelegen gekommen. Nun ist
aber der Kaiser durch die fatale Zusammenkunft in Alexandrowo un-
zugänglich und will nicht auf das Bündnis eingehen, in dem er eine Per-
sidie gegen den Neffen sieht. Bismarck seinerseits hat sich so weit mit
Andrässy engagiert und ist so überzeugt von der russischen Gefahr, daß
er die Verantwortung nicht tragen will und in diesem Falle mit dem Rück-
tritt droht. Der Kaiser dagegen droht mit Abdizieren. Es besteht beim
Kaiser eine große Verlegenheit, was er tun soll. Bismarck scheint ent-
schlossen zu gehen, wenn der Kaiser nicht nachgibt. Nun ruft Bismarck
die Hilfe der Botschafter an und bittet, daß ich und Münster mit dem
Kaiser sprechen. So werde ich denn am Sonntag nach Straßburgt) gehen
und sehen, was sich machen läßt.
Straßburg, 22. September 1879.
Nach einer Fahrt über Ischl nach Wels mit den Kindern, die ich
dort verließ, kam ich früh 6 Uhr nach München, traf dort auf dem Bahn-
hof den Baron Erlanger, mit dem ich weiterfuhr. Um 5 Uhr in Straß-
burg. Hier bekam ich eine gute Wohnung im Hotel de France und ging
dann auf Erkundigung aus. Im Hotel de Paris fand ich Radziwill, der
aber über Politik nicht sprach. Lehndorff fand ich in der Präfektur, wo
der Kaiser wohnt und wo ich mich bei Perponcher meldete. Lehndorff,
der in die Sache eingeweiht war, jedoch kein vollständiges Verständnis
hatte, meinte, es gehe alles gut. Der Kaiser sei mit allem einverstanden.
Neu war mir, daß die Kaiserin diesmal mit „dem großen Manne im
Gebirge" übereinstimme. Das hatte man mir in Gastein anders gesagt.
Später suchte ich Otto Bülow auf. Dieser sagt, Stolberg habe dem
Kaiser seinen Vortrag gehalten und im Auftrage des Reichskanzlers um
die Genehmigung zur Verhandlung und zum Abschluß eines Defensiv-
vertrags mit Oesterreich gebeten, in welchem aber von Rußland keine Rede
sei. Der Kaiser habe an den Rand des dem Vertrag zugrunde liegenden
Schriftstücks „einverstanden“ geschrieben. Soweit wäre nun alles in
1) Vom 18. bis 25. September wohnte der Kaiser den Manövern im Reichs-
lande bei.