276 Botschafter in Paris (1874 bis 1885)
Ordnung; aber es fragt sich, ob man sich in Wien auf einen so all-
gemeinen Vertrag einlassen will. Daran hatte Fürst Bismarck in Gastein
noch gezweifelt, und auch Bülow war darüber noch nicht beruhigt. Er
sagte mir, der Kaiser halte die Sache sehr geheim und habe noch nicht
einmal mit Moltke darüber gesprochen. Es sei zweifelhaft, ob er mit mir
davon anfangen werde, ich würde wohl genötigt sein, selbst davon an-
zufangen. Der Kaiser Alexander hat unserm Keiser versichert, daß er
keine Schritte bei Frankreich getan habe. Es wird schwer sein, dem Kaiser
begreiflich zu machen, daß der kaiserliche Neffe von den Schritten, die
von der russischen Diplomatie unter der Hand getan werden, gar nichts zu
wissen braucht. Ich machte mit Bülow aus, daß ich ihn heute um 12 Uhr
besuchen würde.
22. September, Abends.
Heute früh bei Bülow II und dann Besuche und Einschreiben bei
den Prinzen. Gegen 4 Uhr kam der Kaiser mit den Prinzen vom Ma-
növer zurück. Bald darauf erschien eine Ordonnanz und rief mich zum
Kronprinzen. Der fragte mich, warum ich eigentlich gekommen sei, und
ich sagte es ihm offen. Dann sprachen wir über die schwebende Frage.
Er hörte meine Argumente zugunsten des Vertrags an. Um 5 Uhr fuhr
ich zum Diner des Kaisers in der Präfektur. Da waren die Großherzöge
von Mecklenburg und von Baden, die Prinzen Wilhelm, Friedrich Karl,
Albrecht, der Kronprinz von Schweden in weißer Uniform, ein Prinz von
Hessen und viele Würdenträger. Ich saß zwischen dem Prinzen von
Hessen und Anton Radziwill. Das Diner fand in einem schönen Saale
statt. Nach Tisch sprach der Kaiser längere Zeit mit Moltke und mir,
so daß Bülow nachher fragte, ob wir eine Beratung gehalten hätten. Wir
hatten aber von unbedeutenden Dingen gesprochen, worüber sowohl Moltke
als ich den Kaffee versäumten. Beim Abschied bestellte mich der Kaiser
auf 8 Uhr.
Der Kaiser empfing mich um 8 Uhr in seinem Arbeitskabinett. Zu-
erst erkundigte er sich, wo ich herkomme u. s. w. Dann fragte mich der
Kaiser, ob ich den Reichskanzler gesehen hätte. Ich sagte: „Ja, in
Gastein.“ Der Kaiser: „Er ist wohl sehr gereizt?" Ich: „Nein, aber
beunruhigt.“ Darauf erzählte der Kaiser den ganzen Hergang der Sache,
den Brief des Kaisers Alexander, die Antwort, die Begegnung in Alexan-
drowo, seine Unterredungen mit dem Kaiser Alexander, mit Miljutin und
Giers. Auf einmal nun, nachdem die freundschaftlichsten Versicherungen
ausgetauscht worden seien, habe der Reichskanzler, wahrscheinlich um sich
für den Brief des Kaisers Alexander zu rächen, den Vorschlag gemacht,
ein Bündnis mit Oesterreich gegen Rußland zu schließen. Das habe er