278 Botschafter in Paris (1874 bis 1885)
allianz stehen, und dann können wir die Feindschaft Rußlands und Frank-
reichs mit ansehen.
In Rußland ist die revolutionäre Strömung so stark, daß man nicht
weiß, wozu sich die Regierung drängen lassen kann. Es ist sehr möglich,
daß die konstitutionelle Reformpartei in Rußland den Krieg wünscht, um
zu ihren Reformen zu gelangen. Jedenfalls ist auf die Freundschaft eines
so durchwühlten Landes nicht zu bauen.
Die panflawistische Partei wird durch das österreichisch-deutsche
Bündnis einen eEchec erleiden und dabei die Möglichkeit gegeben sein,
der konservativen Richtung in Rußland eine Stütze zu bieten.
Varzin, 28. Oktober 1879.
Samstag den 25. Oktober blieb ich noch in München, um der Reichs-
ratssitzung beizuwohnen, die ziemlich kläglich ausfiel. Die beiden neuen
Erzbischöfe von Bamberg und München sah ich zum erstenmal, ebenso den
Nachfolger von Harleß. Abends fuhr ich nach Berlin ab. Der Wagen
stieß und schüttelte so sehr, daß ich wenig schlafen konnte. In Hof
schlechter Kaffee. In Berlin um ½1 Uhr. Ich ging ins Auswärtige
Amt, wo ich Lindau, Styrum und Bucher besuchte. Mit Lindau sprach
ich von der Frage der Nachfolge Bülows. 1) Er war sehr dafür, besei-
tigte in seiner Art alle Einwendungen. Dann sprach ich Münster, der
ebenfalls dafür war, daß ich die Stelle annehmen solle. Stolberg sprach
davon nicht. Dann besuchte ich Bleichröder. Er sprach vom Kaiser von
Rußland, von Rumänien, vom Kulturkampf u. s. w. Dann kam er
darauf, daß ich Nachfolger Bülows werden müßte. Er habe es dem
Reichskanzler vorgeschlagen, der Bedenken äußerte, daß ich nicht in
Berlin existieren könne. Ich aß bei Stolberg, legte mich sorgenvoll
zu Bett und stand ebenso sorgenvoll wieder auf. Morgens kam Viktor,
der mir riet, nicht gleich abzulehnen, aber meine Bedingungen zu machen.
Um ½9 Uhr auf die Bahn. Nachmittags traf ich auf einer Station mit
Herbert Bismarck zusammen. Wir unterhielten uns, sprachen aber nicht
von der Frage, die mich nach Varzin führte. Um ½6 Uhr war ich dort.
Diner und nachher Gespräch am Kamin. Als wie gewöhnlich um
½29 Uhr Bismarck sich auf zwei Stunden zurückzog, ging ich mit Holstein
in den Garten. Holstein sprach lebhaft für meine Annahme des Postens.
Ich machte meine Gegengründe geltend und hob besonders die Unmöglich-
keit hervor, mit dem, was ich in Berlin bekommen würde, auszukommen.
Schließlich kamen wir überein, ich solle nicht sofort ablehnen, sondern
1) Der Staatssekretär von Bülow war am 20. Oktober gestorben.