Full text: Denkwürdigkeiten des Fürsten Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst. Zweiter Band. (2)

284 Botschafter in Paris (1874 bis 1885) 
Paris, 22. November 1879. 
Der Prinz Napoleon kam heute zu mir. Er sah aus wie immer. 
Es scheint also, daß die Gerüchte über seine Krankheit übertrieben sind. 
Er kann übrigens deshalb doch an Diabetes leiden. Er fragte nach dem 
Kaiser, nach dem Kronprinzen und nach Fürst Bismarck. Er meinte, daß 
letzterer zu viel esse. Er habe ihn Bier, Milch und Champagner und dazu 
Würste zu sich nehmen sehen. Dann sprach er von Varzin und von 
Friedrichsruhe. Vom Kronprinzen kam er auf Italien. Er hält die Zu- 
stände in Italien für besser, als man gewöhnlich annimmt. Die Italiener 
seien gemäßigte Leute und die Radikalen in der Minderheit. Was den 
Italienern fehle, sei die Fähigkeit, zu administrieren. Die Armee sei wohl- 
diszipliniert. Sie sei nicht so gut wie die piemontesische, aber der Ein- 
fluß der letzteren mache sich doch fühlbar. Italien sei leichter zu regieren 
als Frankreich. Hier sei zunächst nichts zu fürchten. Das Land sei ruhig 
und zufrieden. Die Kammer werde nicht bedroht sein. Das werde später 
kommen. Dazu müsse aber erst Unruhe in der Kammer selbst entstehen. 
Der Winter werde ruhig vergehen. Man werde ja sehen, was die Zu- 
kunft bringe. Frankreich mache das Experiment einer zentralisierten Re- 
publik. Die Schweiz und die Vereinigten Staaten seien föderative Republiken. 
Die konstitutionelle Monarchie habe sich erprobt, die zentralisierte parla- 
mentarische Republik noch nicht. Von Grévyy sagte er, er sei ein ruhiger, 
überlegter Mann. Das Ministerium hält er nicht für kräftig genug. 
Eine Aeußerung, auf die ich nicht weiter einging. Gambetta nannte er 
vorübergehend. Das Ministerium werde sich wohl den Winter über halten. 
Den Scrutin de liste, glaubt er, werde man einführen. Doch sei die 
Kammer wohl nicht geneigt, dies jetzt schon zu tun. 
Am Anfang der Konversation erzählte der Prinz, daß er die Kaiserin 
Eugenie gestern bei ihrer Durchreise gesehen habe. Sie habe wohl aus- 
gesehen. Eine Erlaubnis zur Durchreise hatte sie nicht verlangt. Das sei 
auch nicht nötig gewesen. 
Paris, 23. Dezember 1879. 
Blowitz erzählte mir heute über die Ministerkrifis 1) folgendes: 
Freycinet hatte am Sonnabend die Absicht, Herold das Innere, 
Challemel-Lacour Justiz und Kultus anzubieten. Damit würde er weit 
  
1) Am 16. Dezember hatte sich bei der Verhandlung über eine Interpellation 
Lockroys betreffend die Anwendung des Gesetzes über die teilweise Amnestierung 
der Kommunards herausgestellt, daß das Ministerium Waddington nicht mehr die 
Mehrheit in der Kammer hatte. Am 21. Dezember gab das Ministerium seine Ent- 
fassung.
	        
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