172 Botschafter in Paris (1874 bis 1885)
sich nicht traue, mit ihm zu verkehren, weil er eben ein böses Gewissen
habe. Er wünscht sehr, einen Mann als Botschafter zu haben, mit dem
man vertraulich reden könne. Pouyer-Quertier, St. Vallier, La Ronciere,
wären ihm recht. Gegen Polignac und dessen Frau sprach er sich ganz
besonders aus.
Im allgemeinen fand ich den Fürsten unverändert. Das bedauer-
lichste ist, daß er nicht gesund ist. Er schläft schlecht, trinkt zu viel
Wasser und ist matt. Geistig ist er frisch wie immer.
9. September.
Heute machte ich mit dem Fürsten einen längeren Spaziergang im
Park. Er kam auf Bülowt#) zu sprechen. Dieser lasse sich, meinte er,
durch Radowitz aufputschen. „Seien Sie versichert,“ sagte er, „daß diese
beiden zusammen, wenn ich nicht das Sicherheitsventil wäre, in vier
Wochen den Krieg herbeiführen würden.“ Ich meinte, Radowitz werde
wohl durch einen längeren Aufenthalt auf einem Gesandtschaftsposten Ge-
legenheit haben, sich zu kalmieren. „Ja.“ sagte er, „er soll auch nach
Athen gehen.“ Ich bin froh, daß der Fürst in dieser Beziehung klar-
sieht, und brauchte nicht weiter zu insistieren.
Berlin, 3. November 1875.
Vorgestern 12 Uhr Nachts Ankunft von Wiesentheid. 2) Gestern Vor-
mittag Besuch bei Bülow. Er teilte mir mit, daß Reuß nicht Botschafter
in Petersburg bleiben wird, da der Kaiser von Rußland, wahrscheinlich
durch die weimarischen Herrschaften und durch die Großfürsten bestimmt,
dies als „inadmissible“ bezeichnet hat. Auch die Kaiserin war dagegen,
wie sie überhaupt die Heirat ihrer Nichte mit Reuß als eine Mesalliance
ansieht. Schweinitz wird nun auf besonderen Wunsch des Kaisers nach
Petersburg gehen, sehr à contre-coeur, und Reuß wird wohl Wien be-
kommen, doch ist darüber noch nichts bekannt.
Ueber die italienische Reise 3) sprach Bülow sehr befriedigt. Große
Resultate seien dabei nicht erreicht worden, doch habe sich bei dem König
und den Ministern viel guter Wille gezeigt, mit Deutschland in gutem
Einvernehmen zu bleiben.
1) Bernhard von Bülow, seit 1873 als Nachfolger Thiles Staatssekretär des
Auswärtigen. «
, Die zweite Tochter des Fürsten, Prinzessin Stephanie, war seit dem
12. April 1871 vermählt mit dem Grafen Arthur von Schönborn-Wiesentheid in
Wiesentheid, Regierungsbezirk Unterfranken.
3) Kaiser Wilhelm besuchte den König Viktor Emanuel in Mailand vom 18.
bis 23. Oktober.