288 Botschafter in Paris (1874 bis 1885)
hätte er es als eine Demonstration gegen Rußland angesehen. Ich er-
widerte, ich sei sehr froh, daß mir Gelegenheit gegeben werde, mich über
diese Angelegenheit zu äußern. Der Reichskanzler sei dabei sehr unschuldig.
Er habe unter Bezugnahme auf die beunruhigenden Aeußerungen der
Presse sich veranlaßt gesehen, aussprechen zu lassen, daß das neue Mini-
sterium uns keinen Grund gebe, unfre Beziehungen zu ändern. Ich hätte
den Auftrag so ausgeführt, wie er mir aufgetragen worden sei. Die Um-
stände aber und namentlich die Unerfahrenheit der neuen Beamten des
Ministeriums seien schuld daran, daß die Inszenierung der ganzen Sache
eine andre geworden sei, als ich beabsichtigt hätte, und so sei mehr dar-
aus gemacht worden, als vorausgesehen war. Damit beruhigte sich der
Kaiser. Er ging dann zu andern Sachen über. Er bedauerte, daß ich
den Reichskanzler nicht sähe, meinte aber, die Hauptsache sei, daß der
Reichskanzler zum Reichstage herkomme. Dann sprach er viel von Ruß-
land, erwähnte, daß Miljutin der Gegner Deutschlands sei und sich mit
dem Gedanken trage, die deutschen Waffen durch die russischen demütigen
zu lassen, sprach dann seine Befriedigung aus, daß es Walujew gelungen
sei, den Einfluß Miljutins zu paralysieren. Die Zustände in Rußland
seien sehr bedauerlich. Es sei begreiflich, daß die Russen eine Konstitution
für sich wollten, nachdem der Kaiser den Bulgaren eine gegeben habe.
Und doch sei eine Konstitution für Rußland der Anfang des Zerfalls.
Von St. Vallier sagte er, er hoffe, daß er bleiben könne, und beauftragte
mich, dafür zu wirken, soweit dies möglich und ratsam erscheine.
Paris, 28. Januar 1880.
Heute Nachmittag bei Freyeinet. Wir sprachen zuerst von den
Ferryschen Gesetzen. Das jetzt der Beratung des Senats vorliegende
Gesetz betreffend den Conseil supérieur de Pinstruction wird nach Frey-
cinets Ansicht mit Leichtigkeit durchgehen. Wie es mit dem Gesetz über
die Kongregationen gehen wird, läßt sich noch nicht bestimmen. Doch
meinte Freycinet, daß man in der katholischen Partei doch einsehen werde,
daß die Verwerfung des Artikels 7 noch schlimmere Folgen haben werde
als dessen Annahme. Er will auch in diesem Sinne sprechen. Er war
meiner Ansicht, daß man die Kammer nicht wegen antiklerikaler Anträge
auflösen könne, und diese würden kommen, wenn der Artikel 7 verworfen
würde. In bezug auf den Amnestieantrag sagte er, daß die Regierung
eine Majorität von dreihundert Stimmen gegen die äußerste Linke haben
werde, auch wenn die Rechte für Louis Blancs Antragt#) stimmen sollte,
was er voraussieht.
1) Vom 22. Januar auf Erlaß einer vollständigen Amnestie für die Kom-
munards.