Botschafter in Paris (1874 bis 1885) 289
Dann war von Decazes und dem Artikel der „Norddeutschen All-
gemeinen Zeitung“ die Rede. Er meinte, jedermann wisse, daß sich da-
mals die Regierung des 16. Mai im Inlande und Auslande in demselben
Sinne geäußert habe. 1) Von einer bewaffneten Intervention sei nie die
Rede gewesen, und es sei lächerlich, sich dagegen zu verteidigen.
Hierauf sprachen wir von Rumänien und dann von unserm Militär-
gesetz. Die Beunruhigung darüber bestehe nicht im Lande und nicht bei
der Regierung, sondern nur in der Presse. Abends zu Broglie, wo die
konservative Gesellschaft vereinigt war.
Paris, 10. Februar 1880.
Gestern ein Brief von Holstein mit dem Vorschlage, daß ich mich
anbieten soll, die Geschäfte des Ministeriums vorübergehend zu führen.
Ich fürchte, wenn ich einmal dort bin, komme ich nicht wieder weg. Ich
habe das Gefühl, daß es mit dem Pariser Aufenthalt zu Ende geht.
Nachmittags mit Fürstin Urussow zu Mademeoiselle Jacquemart,?) wo eine
glänzende Gesellschaft vereinigt war: Brancovan, Broglie, Madame d'Har-
court, d'’Haussonville u. a. Zum Diner zu Beust. Gambetta war auch
dort. Im ganzen vierzehn Personen. Nach Tisch sprach ich lange mit Gam-
betta. Solange Zuhörer da waren, wurde vom Tarif und ähnlichem ge-
sprochen. Als wir allein waren, sprach er seine Freude aus, daß der
Kulturkampf bei uns noch nicht zu Ende sei. Er meint, es gebe gar keine
Verständigung. Die Behauptung, daß der Kampf mit der Kurie ein Un-
glück sei, sei unbegründet. Kampf und Opposition müsse immer sein, und
da sei es doch besser, wenn der Kampf sich auf diesem Felde bewege als
auf anderm. Ich führte dann das Gespräch auf die Epoche des 16. Mai
und verwertete mein Material. Gambetta hörte höflich zu, aber wie einer,
der alles schon weiß. Die angeblichen Staatsstreichpläne des Marschalls
und des Duc Decazes verwarf er entschieden. Er ist meiner Meinung,
daß die damaligen Mitteilungen nichts andres gewesen sind als das Be-
streben, sich bei den monarchischen Regierungen angenehm zu machen.
Ernster sei die Komödie von 1875 gewesen. Er habe an die Kriegsgefahr,
die Decazes vorspiegelte, nicht geglaubt und habe das dem Minister in
einer Kommissionssitzung offen ins Gesicht gesagt. Ueber die Vorgänge
im Sommer 1877 und über Gontauts Gespräch mit dem Kaiser war er
1) Die „Norddeutsche Allgemeine“ hatte angedeutet, daß die Regierung des
16. Mai in Berlin Schritte getan habe, um im Hinblick auf einen etwaigen Staats-
streich über die Haltung der deutschen Regierung Versicherungen zu erhalten, und
hatte daran die Erklärung geknünpft, daß die deutsche Regierung sich den inneren
Angelegenheiten Frankreichs grundsätzlich fernhalte.
2) Berühmte Malerin, später mit M. André verheiratet.
Fürst Hohenlohe, Denkwürdigkeiten. II 19