Full text: Denkwürdigkeiten des Fürsten Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst. Zweiter Band. (2)

290 Botschafter in Paris (1874 bis 1885) 
vollkommen unterrichtet. „Wir haben das alles in den Archiven des 
Ministeriums der auswärtigen Angelegenheiten.“ Indessen hat er augen- 
scheinlich jetzt keine Lust, die Sache an die große Glocke zu hängen. Er 
billigt jedes Wort der „Norddeutschen Allgemeinen Zeitung“. Allein er 
glaubt, der Moment sei verpaßt. Man hätte die Minister des 16. Mai 
nicht laufen lassen, sondern sie verurteilen sollen „sauf à les gracier plus 
tard“. Jene Haltung des Ministeriums zugunsten der Nachsicht sei, meinte 
er, eines der wesentlichsten grieks der Kammer gegen das Ministerium 
Waddington. Die Kammer habe dies nicht verwinden können. Wir kamen 
dann auf die Kriegsgerüchte. Das sei, sagte Gambetta, ein Manöver der- 
selben Leute. Diese wollten Unruhe erhalten, die ruhige Arbeit stören und 
Mißtrauen gegen die Republik verbreiten. Das mache aber keinen Ein- 
druck auf das Volk. Dieses sei apathisch und lasse sich nicht leicht auf- 
regen. Auch die Amnestiedebatte werde keine Aufregung erzeugen. Ich 
meinte, das könne sich plötzlich ändern. Gambetta erwiderte, das sei mög- 
lich, aber nicht wahrscheinlich. Der eigentliche Grund der Zurückhaltung 
der Republikaner in bezug auf Decazes liegt darin, daß sie die Sache als 
durch den Beschluß der Kammer, welcher den Antrag auf Untersuchung 
ablehnt, erledigt betrachten und fürchten, sich dem Vorwurf auszusetzen, 
den sie sich selbst machen: Warum sind die Minister nicht vor Gericht 
gestellt worden? 
Berlin, 22. Februar 1880. 
Ich schreibe unter dem Eindruck, daß eine gute Zeit zu Ende ist, 
daß eine sorgenvolle, unangenehme beginnt. Es läßt sich aber nicht 
ändern, und man muß das Unvermeidliche tragen, wie es geht. Gestern 
hier angekommen, fand ich Holstein auf dem Bahnhofe. Er begleitete 
mich bis zum Herrenhause. Ich erfuhr schon durch ihn, daß man mich 
bald hier haben will, daß man mich damit vertröstet, ich würde wieder 
nach Paris zurückkommen, und daß Radowitz nach Paris en mission 
extraordinaire soll, um bis zu meiner Rückkehr die Geschäfte zu führen. 
Um 11 Uhr ging ich in den Reichstag. Ich sprach mit verschiedenen 
Abgeordneten, mit Lasker, Bennigsen, Benda, Dernburg u. a. Der Artikel 
der „Norddeutschen Allgemeinen Zeitung“, der von der aggressiven Stellung 
Rußlands und Frankreichs spricht, hat viel Sensation gemacht und wird 
mit Besorgnis kommentiert. Nachher erfuhr ich beim Reichskanzler, daß 
er den Artikel nur geschrieben hat, um auf die Abgeordneten einzuwirken, 
damit sie für das Militärgesetz stimmen. Er lachte, als ich ihm von der 
Wirkung sprach. 
Radowitz sprach mir gleich von meiner Einberufung und davon, daß 
er nach Paris solle, wenn ich nichts dagegen hätte. Natürlich konnte ich 
nichts andres sagen, als daß es mir recht sei. Radowitz glaubt, daß
	        
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