292 Botschafter in Paris (1874 bis 1885)
Berlin, 29. Februar 1880.
Der Kaiser ließ mir heute Morgen sagen, ich möchte um 1 Uhr zu
ihm kommen. Ich mußte eine Zeitlang warten, da ein alter General bei
ihm war. Als ich hineinkam, fing der Kaiser gleich von dem Projekt
meiner Berufung zu reden an, bedauerte, daß ich nach Berlin käme, da
er mich lieber dort sähe, meinte aber, es ginge nicht anders. Er hätte
vorgezogen, daß Wesdehlen die Geschäfte führte statt Radowitz, er hat
aber dem Reichskanzler nachgeben müssen. Dann sprach er noch etwas
von Rußland, entließ mich aber bald.
Um ½3 Uhr hatte ich den Besuch von Thielmann, der nach Paris
kommt, dann vom Prinzen Hohenzollern und zuletzt von Radowitz. Mit
Marie und Viktor in die Staatssekretärswohnung. Dort wurde mir ein
Brief gebracht, der mich zum Reichskanzler berief. Der Reichskanzler las
mir den Bericht vor, den er in meiner Angelegenheit an den Kaeiser ge-
richtet hat. Es wird darin vorgeschlagen, ich solle auf vier bis sechs
Monate von Ende März an die Geschäfte des Staatssekretärs interimistisch
führen und dann solle Hatzfeld das Provisorium übernehmen und das
Amt dann definitiv bekommen, wenn er dem Kaiser entspreche. Ueber die
Zeit sagte der Reichskanzler, er rechne auf Anfang April, der Zeitpunkt
könne aber auch verschoben werden, wenn seine Gesundheit aushalte. Er
sprach dann noch einiges, woraus ich entnahm, daß er mich doch gern
definitiv hier haben möchte. Er meinte, ich könne, wenn ich es wünsche,
jeden Augenblick mit Hatzfeld tauschen. Hierauf kam er auf die durch
meinen Abgang veranlaßte Alarmierung der öffentlichen Meinung in Paris
und sagte, es sei gerade ein Beweis für die bestehenden guten Beziehungen
zu Frankreich, daß man sich nicht scheue, mich abzuberufen. Hätten wir
Besorgnisse oder böse Absichten, so würde der Botschafter nicht abberufen
werden. Gerade deshalb aber, weil wir weder das eine noch das andre
haben, könnten wir ohne Bedenken den Posten in dieser Weise weniger
vollständig besetzt lassen. Der Reichskanzler trug mir auf, in diesem Sinne
mit St. Vallier zu sprechen. Ich ging zu St. Vallier, richtete meinen
Auftrag aus und beruhigte ihn namentlich über das Gerücht, das der
„Temps“ gebracht hatte, daß Reuß nach Paris kommen werde.
Abends beim Kaiser, wo mir die Kaiserin ihre Besorgnisse aussprach,
die ich zu zerstreuen versuchte.
1. März.
Heute war der Korrespondent des „Gaulois“ bei mir, fragte mich
nach der Lage und erzählte von den alarmierenden Gerüchten. Ich sagte
ihm, daß er wohl wissen werde, daß die politischen Dinge viel einfacher
liegen, als das große Publikum gewöhnlich annimmt, welches allerlei
Kombinationen erfindet. Hierauf sagte ich ihm, daß der leidende Zustand