300 Botschafter in Paris (1874 bis 1885)
ihm die Sache schicken, da nur ein wirklicher Minister kontrasignieren
kann. In allen übrigen Unterschriften mache ich es wie bisher.
Berlin, 29. Juni 1880.
Gestern war ein sehr besetzter Geschäftstag. Morgens um 10 Uhr
kam der Korrespondent der „Times“ und suchte mir die Vorteile klarzu-
machen, die es bringen würde, wenn die „Times" bald die Konferenz-
beschlüsse veröffentlichte. Kaum war ich im Auswärtigen Amt, so kam der
griechische Gesandte in Petersburg, Herr Brailas, mit dem ich über das
bayrische Anlehen sprach und dem ich die Gefahren vorhielt, denen Griechen-
land sich aussetze, wenn es die bayrische Schuld nicht bezahle. Dann kam
der türkische Botschafter mit einer Protestnote gegen die Konferenzbeschlüsse.
Ich versprach ihm, die Note der Konferenz vorzulegen. Dann zum Reichs-
kanzler. Wir sprachen über die Nachricht, daß der russische Botschafter
in London Lord Granville vorgeschlagen hat, zwanzigtausend Russen zur
Exekution der Konferenzbeschlüsse zu stellen, wenn England eine Flotte
schicke. Um 3 Uhr Beginn der Konferenzsitzung, die sehr ruhig verlief,
aber bis 6 Uhr dauerte. Dann ging ich rasch hinüber zum Essen beim
Reichskanzler. Es war das Abschiedsessen vor seiner Abreise. Nur Hol-
stein, die Rantzaus und das Ehepaar Eickstädt waren da. Wir saßen noch
bis ½9 Uhr im Salon, dann ging ich mit Philipp Ernst ins Theater
und um 10 Uhr aufs Auswärtige Amt, wo ich noch bis 11 Uhr arbeitete.
Dann zu Odo Russell, wo ich große Gesellschaft fand. Ich ließ mich der
Lady Simmons, der Frau des Generals, vorstellen, die mir erzählte,
„duelle s'était beaucoup amusée avec les musées de Berlin“.
Ich erzählte dem türkischen Botschafter den russischen Vorschlag mit
den zwanzigtausend Mann, was ihn einigermaßen erschreckte. Ich sagte
ihm, wenn die Russen zwanzigtausend Mann schickten, würden wohl andre
dasselbe tun. „Et vous aussi?“ fragte er. Ich antwortete, daß es uns
nicht einfiele, daß aber andre genug da seien, die darauf eingehen würden.
Er sagte, er würde das gleich telegraphieren. Damit habe ich ihm einen
Floh ins Ohr gesetzt, der die hohe Pforte zum Nachdenken bringen kann.
Heute reist der Reichskanzler ab. Ich habe nun mehr persönliche
Unabhängigkeit, aber auch größere Verantwortung.
Die Konferenz wird wohl diese Woche zu Ende gehen. 2)
Potsdam, 11. Juli 1880.
Infolge einer Einladung der kronprinzlichen Herrschaften fuhr ich
gestern Nachmittag 6 ½ Uhr von Berlin ab, begegnete auf der Bahn dem
Minister Friedberg, der auch eingeladen war, und dem Ehepaar Hermann
1) Die Konferenz wurde am 1. Juli geschlossen.