Full text: Denkwürdigkeiten des Fürsten Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst. Zweiter Band. (2)

312 Botschafter in Paris (1874 bis 1885) 
Paris, 21. Juni 1881. 
Heute früh 9 Uhr hier angekommen. Um 3 Uhr machte ich einen 
Besuch bei Grévy. Er empfing mich mit besonderer Liebenswürdigkeit 
und schien sehr zufrieden mit seinem succeès. ) Nach allgemeiner Kon- 
versation brachte ich das Gespräch auf die letzten politischen Ereignisse. 
Er sagte, die Kammer der Abgeordneten hätte nur unter einer großen 
Pression für den Scrutin de liste gestimmt,?) wäre aber eigentlich für 
Beibehaltung des bisherigen Wahlmodus gewesen. Auch habe sie das 
Gesetz nur mit acht Stimmen Majorität angenommen. Das Land sei 
ganz gleichgültig und eher dagegen. Nur einige ehrgeizige Persönlichkeiten 
hätten aus eigensüchtigen Motiven die Sache betrieben. Das Land wolle 
Ruhe. Auch der Versuch, die Kammer zu bewegen, das Budget nicht zu 
verlängern, sei aus diesen Motiven hervorgangen. Man habe das Land 
beunruhigen wollen. „Ich würde aber die Kammer nie aufgelöst haben. 
Wollte sie das Budget nicht votieren, so wäre das ihre Sache gewesen. 
Ich hätte die Hand nicht dazu geboten.“ 
Ich fand den Präsidenten selbstbewußter als sonst. Als ich weg- 
ging, begleitete er mich bis auf die äußere Treppe, was er sonst nie tut. 
General d'Abzac, der mich besuchte, erzählte, Gambetta habe sich nicht 
allein durch die Reise nach Cahors,3) sondern auch durch seine aristo- 
kratischen Manieren und Prädilektionen geschadet. Vor etwa acht Tagen 
arrangierte Marquis du Lau, den er kennt, ein Diner, um Rothschild 
kennen zu lernen. An dem Diner nahmen verschiedene Herren der guten 
Gesellschaft teil: la Trémoille, A. Rothschild, Breteuil, Kerjégu u. a. Dort 
sprach Gambetta sehr konservativ. Das Diner hat seine republikanischen 
Freunde verstimmt. Das hat mit dazu beigetragen, ihm die Niederlage 
in der republikanischen Partei zu bereiten. 
Den 22. 
Lesseps war bei mir und sagt, daß die Vereinigten Staaten einen 
Vertrag mit der kolumbischen Republik abgeschlossen hätten, nach dem der 
neue Kanal in ihre Hände kommen würde. Der Senat von Kolumbia 
habe aber den Vertrag verworfen, und Lesseps wünscht nun, daß Deutsch- 
land die Sache in die Hand nehme und eine allgemeine Neutralität des 
Landes durchführe, eine Verständigung aller Mächte und Regierungen, 
die die Neutralität aller Meerengen anerkenne. Der Gesandte von 
Kolumbien wird heute zu mir kommen. 
  
1) Vermutlich ist der Erfolg der tunesischen Expedition gemeint. Durch den 
Vertrag vom 12. Mai hatte Frankreich das Protektorat über Tunis erhalten. 
2) Am 19. Mai. Am 9. Juni lehnte der Senat das Gesetz ab. 
3) Gambettas Vaterstadt. Die Reise fand vom 25. bis 30. Mai statt.
	        
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