Botschafter in Paris (1874 bis 1885) 317
zur Bahn. Um ½5 Uhr war ich in Paris. Dort beschäftigte sich alles
mit der Szene in Belleville, !) und man erörtert, ob dies Gambetta schaden
wird oder nicht.
Paris, 22. August 1881.
Der Nunzius, der mich gestern besuchte, ist meiner Ansicht, daß Gam-
betta das Ministerium nicht übernehmen wird, sondern daß ein Ministerium
Freycinet-Ferry-Brisson kommt. Daß St. Hilaire nicht bleibt, glaubt er.
Er meinte ferner, daß Gambetta gewählt werden würde und noch nicht
abgetan sei. Was ich auch glaube. Dann fuhr ich mit Philipp Ernst
nach dem Pere Lachaise, ging durch den Kirchhof und kam an die Mairie
des 20. Arrondissements, wo Gambettas Wahl war.2) Wir trieben uns
erst eine Zeitlang vor der Mairie herum, wo verschiedene Gruppen von
Bürgern und Arbeitern standen, die diskutierten. Es wurde unglaublicher
Unsinn geschwatzt. Die einen waren für Gambetta, die andern gegen ihn.
Ein kleiner Arbeiter in schwarzer Bluse mit einem blassen Gesicht und
fanatischen Augen sagte, man könne Gambetta nicht wählen, weil er
Freund von Gallifet sei, der ihn, den Arbeiter, nach Nouméêa geschickt
habe. Dann sprach er gegen die Geistlichkeit, sagte, sein Wunsch wäre,
daß sie von der Wahl ausgeschlossen würden, „parce du’ils ne prennent
pas part à la défense de la patrie; 1l faut les traiter comme les
femmes“. Einmal sagte er: „Le bon Dieu ne peut pas vouloir cela,
W’il ya un Dieu — car moi je n#'y crois pas“ u. s. w. Er klagte, daß
die Reichen sich im Pere Lachaise Gräber kauften und die andern gemein-
schaftlich begraben werden. Ein behäbiger Bürger dagegen, mit dem ich
sprach, war gegen die Sozialisten und sagte, das wäre das Wahre, wenn
man sein erspartes Geld an diese Leute geben müßte! Da höre ja alle
Freude an der Arbeit auf! Als ich ihn fragte, ob Gambetta gewählt
werden würde, sagte er: „Nom de nom, oui!“ Ein Arbeiter in blauer
Bluse sprach gegen die Sozialisten, blamierte sich aber durch allerlei Irr-
tümer und wurde ausgelacht. Im ganzen waren die Sozialisten in der
Minderheit. Wir gingen dann in das Wahllokal, wo wir den Schluß
des scrutin mitansahen, und kehrten durch den Kirchhof wieder zu unserm
Wagen zurück.
Abends gingen wir einige Zeit in die Folies Bergeres, und als es
Zeit war, wanderten wir durch die benachbarten Straßen nach dem
„Figaro“ und dem „Citoyen“ in der Rue Drouot. Im Bureau des
„Citoyen“ waren viele Sozialisten, die es sehr beklagten, daß Gambetta
1) Bei einer Wahlrede am 16. war Gambetta durch den radikalen Pöbel über-
schrien und genötigt worden, sich zurückzuziehen.
2) Am 21. August fanden die Deputiertenwahlen statt.