Full text: Denkwürdigkeiten des Fürsten Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst. Zweiter Band. (2)

318 Botschafter in Paris (1874 bis 1885) 
in beiden Wahlbezirken gewählt sei. Ich kaufte mir einige Zeitungen und 
eilte um 12 Uhr nach Hause, um noch zu telegraphieren. Heute ist man 
allgemein sehr zufrieden. Die ruhige Republik ist gesichert. Ferry hat 
einen großen Sieg davongetragen. Gambetta muß jetzt mit den Gemäßigten 
gehen, nachdem ihm die Radikalen nicht mehr folgen wollen. Meine bis- 
herigen Berichte sind vollkommen bestätigt. 
Varzin, 23. Oktober 1881. 
Abreise von Rauden den 22. Oktober. Abends in Berlin, Hotel du 
Nord. Morgens am 23. von Berlin abgereist über Stettin nach Varzin, 
wo ich zu Tisch eintraf, gegen 6 Uhr. Der Reichskanzler sieht wohl und 
frisch aus und scheint sehr guter Laune. Er erkundigte sich nach meinen 
Wahlaussichten. Im allgemeinen könne man, meinte er, noch gar kein 
Prognostikon stellen. Es sei aber einerlei, wie die Wahlen ausfielen, ein 
Systemwechsel werde daraus nicht folgen. Käme eine Majorität, die seine 
wirtschaftlichen Pläne und Steuerpläne nicht akzeptiere, so müßten diese 
vertagt werden. Das seien Dinge, die man nicht im Handumdrehen durch- 
führen könne. Ob das zu seinen Lebzeiten oder nach ihm durchgeführt 
werde, das sei ihm gleich. Er habe nur die Pflicht, das in Vorschlag 
zu bringen, was er für nötig halte. 
Abends beim Tee wurde allerlei gesprochen von vergangenen Zeiten, 
von Darmstadt, Frankfurt u. s. w. Dann fragte auf einmal der Fürst: 
„Ja, wo ist denn Gambetta geblieben? Ich warte immer noch auf ihn.“!) 
Er sagte dann, er würde ihn recht gern gesehen haben. Es gehöre zu 
seinen Pflichten, fremde Staatsmänner zu empfangen. Gambetta sei ohne 
Zweifel berufen, in einem der wichtigsten Nachbarländer eine große Rolle 
zu spielen, und da würde es ihm ganz angenehm gewesen sein, sich mit 
ihm zu besprechen. Daß das Gerücht sich erhalte, erklärte der Reichs- 
kanzler dadurch, daß es nicht möglich sei, eine Form für das Dementi zu 
finden, die Gambetta nicht verletze. Dann erzählte er von den verschie- 
denen Versuchen, die gemacht worden seien, Gambetta mit ihm zusammen- 
zubringen. 
Der Fürst fragte auch, wie ich mit Thielmann zufrieden sei. Ich 
erwiderte, daß ich ihn für einen sehr fähigen Menschen hielte. Der Fürst 
sagte, die Herren in Berlin seien mit Bülows2) politischer Berichterstattung 
mehr zufrieden als mit Thielmanns. Das wundere ihn. Es sei möglich, 
daß Thielmann als Finanzkapazität besser sei als in diplomatischen Dingen. 
Er eigne sich vielleicht mit der Zeit zum Finanzminister. Er müsse nur 
1) Gambetta war im September und Oktober in Deutschland gewesen. 
2) Des jetzigen Reichskanzlers.
	        
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