Botschafter in Paris (1874 bis 1885) 325
Vorläufig sei er abgetan. Da er sich mit dem Scrutin de liste identi-
fiziert habe, so müsse er immer wieder den Scrutin de liste als Bedin-
gung der Uebernahme der Geschäfte stellen, und da die Kammer vor 1885
nicht darauf eingehen werde, so bleibe er bis 1885 von den Geschäften
ausgeschlossen. Die Verfassungsrevision, sagt Blowitz, sei beseitigt. Man
brauche den Beschluß der Kammer nach dem Reglement gar nicht dem
Senat vorzulegen.
Wiesentheid, 21. März 1882.
Ich will mein Journal, wie ich es früher blätterweise schrieb, um
es, wenn wir uns trafen, Stephanien zu lesen zu geben, heute schreiben,
um den ganzen Eindruck der letzten Woche festzuhalten. Jetzt, um Ste-
phaniens Krankheit und letzte Stunden zu erzählen.
Am Sonntag Nachmittag, 11. März, erhielten wir ein Telegramm,
daß Stephanie an der Diphtheritis erkrankt sei. Das erschreckte uns. Der
Inhalt des Telegramms war aber nicht beunruhigend. Wir dachten, die
Krankheit habe eben begonnen, und glaubten, daß es gelingen werde, sie
im Keim zu besiegen. Abends aber kam die Nachricht, daß die Krankheit
bedenklich sei. Wir fuhren zu Dr. Teste, dem Spezialisten für diese Krank-
heit, und ließen uns von ihm eine Anweisung zur Anwendung seines
Mittels geben und telegraphierten dieselbe sofort nach München. Den
Montag lauteten die Nachrichten nicht besser, doch konnten wir nicht ab-
reisen, da der Botschaftsrat, dem ich die Geschäfte übergeben mußte, von
einer Reise noch nicht zurück war. Endlich kam er, und wir fuhren
Mittwoch Abend ab. In Straßburg fanden wir ein Telegramm, das von
Besserung sprach, in Karlsruhe ebenfalls. Beruhigt fuhren wir weiter.
Als wir aber in den Bahnhof München einfuhren, fanden wir Karl
Schönborn und G. Castell, die uns mitteilten, daß seit Nachmittag eine
Verschlimmerung eingetreten und die Operation, der Schnitt in die Luft-
röhre, vorgenommen sei. Da sank unfre Hoffnung tief herab. Als wir
ins Haus traten, wurden uns die Nachrichten noch näher erläutert. Ste-
phanie hatte selbst die Operation verlangt. Und nun war sie zufrieden,
wieder atmen zu können und der Erstickungsgefahr entgangen zu sein.
Ich fand sie in ihrem Bette liegend, außerstande, des Schnittes wegen zu
sprechen, gefaßt und ruhig. Doch sagte mir ihr Blick, als ich ihr gute
Nacht sagte, daß sie sich der Gefahr wohl bewußt war. Wir ließen uns
früh Nachricht bringen und hörten, daß die Nacht keine Verschlimmerung
gebracht habe. Der Tag verging ruhig. Abends saß ich lange an ihrem
Bett und hielt ihre Hand. Das tat ihr wohl, und sie dankte mir mit
einem freundlichen Blick. Um 10 Uhr ging ich wieder hinunter, um zu
schreiben. Ich hatte kaum einen Brief beendet, so wurde ich mit dem