Full text: Denkwürdigkeiten des Fürsten Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst. Zweiter Band. (2)

Botschafter in Paris (1874 bis 1885) 345 
bau wolle er keine Einwendung machen. Aber die Kavallerie an der 
Grenze sei ein bedenkliches Symptom. In diesem Sinne sprach der Kaiser 
noch weiter, bis er sah, daß es schon 5 Uhr war, worauf er mich entließ, 
um hinauf zu den andern Gästen zu gehen. Bald folgte er selbst, und 
wir gingen zum Diner, an welchem die Minister und viele Generale teil- 
nahmen. Nach Tisch kam Baron Cohn zu mir und erzählte von seinen 
Geschäften für den Kaiser. 
Paris, 4. November 1883. 
Heute besuchte ich Herrn Grévy. Ich unterließ nicht, im Verlauf 
des Gesprächs zu sagen, daß in den Anschauungen der kaiserlichen Re- 
gierung gegenüber der französischen Republik keine Aenderung eingetreten 
sei und daß wir nach wie vor die guten Beziehungen zu der Republik zu 
erhalten wünschten. Herr Grévy erwiderte, daß dies auch der Wunsch 
der französischen Regierung sei und daß diese es wohl zu würdigen wisse, 
in welcher wohlwollenden Weise Deutschland ihr gegenüber seit dreizehn 
Jahren verfahren sei. Als ich die Hoffnungen der Monarchisten und die 
hier verbreiteten Gerüchte über die Gefahren erwähnte, welche angeblich 
der Republik drohen sollen, antwortete er mit einer ihm ungewohnten 
Lebhaftigkeit, das sei nur die Ansicht der Reaktionäre. Die Republik sei 
noch immer die Staatsform, welche dem französischen Volk zusage und an 
der es festhalte. Die Wahlen bewiesen dies. Der Einwurf, daß die 
Wahlen nicht der wahre Ausdruck der Meinung des Landes sei, entbehre 
der Begründung. Der Geist des Volkes in Frankreich sei durchdrungen 
von dem Prinzip der Gleichheit, sei durch und durch demokratisch. Wer 
sich dieser demokratischen, egalitären Strömung widersetzen wolle, werde 
zermalmt. Die Gefahr für die Republik liege nicht in den wenigen und 
ohnmächtigen Monarchisten, sondern in den Anarchisten. Gegen diese müsse 
die Regierung alle ihre Kraft aufbieten. Diese beunruhigten und störten 
die ruhige Entwicklung des Landes. Die Regierung sei aber in ihrer 
Aufgabe gehindert durch die mangelhafte Preßgesetzgebung. Eine Restau- 
ration werde, wenn sie versucht würde und gelänge, von keiner Dauer 
sein. Uebrigens sei dies ganz unmöglich, da man in Frankreich keine 
Staatsform ändern könne, ohne die Macht in Händen zu haben, und die 
Monarchisten seien machtlos. 
Fürst Orlow, der heute bei mir war, sprach von den beunruhigenden 
Gerüchten an der Börse über Krieg mit Rußland und behauptet, es sei 
dies eine Erscheinung, die sich stets wiederhole, wenn die Zeit komme, im 
Herbst nach der Ernte, wo der Rubel steige. Da die russischen Finanz- 
männer und Industriellen ein wesentliches Interesse daran hätten, den 
Kurs des Rubels niedrig zu halten, so beeilten sie sich, den europäischen
	        
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