Botschafter in Paris (1874 bis 1885) 351
Journal.
Paris, 16. Juli 1884.
Das Fest vom 14. Juli würde ohne Erinnerung zurückzulassen vorüber-
gegangen sein, wenn nicht der Skandal mit den Fahnen am Hotel Con-
tinental stattgefunden hätte. ) Gestern früh erst erfuhr ich, was den Tag
vorher vorgegangen war. Ich berichtete sofort ausführlich durch Tele-
gramm nach Berlin. Abends um 6 Uhr kam Ferry, fand mich aber nicht.
Heute früh kam er wieder und sprach sein Bedauern aus, teilte mir auch
mit, daß der Polizeikommissar, der sich so schwach gezeigt hat, abgesetzt sei.
Nachmittags kam ein Württemberger, Dr. Wurster aus Reutlingen, der
erzählte, er sei es gewesen, der sich in das Marineministerium geflüchtet
habe. Er ging an die Statue von Straßburg, als die Demonstration
stattfand, und sah sich alles genau an. Da er nun den sogenannten „Jäger-
rock“ trug und sehr deutsch aussah, so erkannte man ihn gleich als
Deutschen und schimpfte ihn. Nach und nach wurden die Insulten stärker,
er wurde gestoßen und geschlagen und floh dann nach dem Marine-
ministerium. Die Leute liefen hinter ihm her, weil sich nun das Gerücht
verbreitete, er hätte etwas Feindliches getan oder gesagt. Er war aber
sehr ruhig gewesen. Ich erzählte dies Ferry.
Paris, 24. August 1884.
Courcel ist gestern nach Berlin zurück?) und bringt die Zustimmung
Ferrys zu der Verständigung, die allerdings kein Allianzvertrag, aber ein
großes Rapprochement ist. In der westafrikanischen Frage wird man
gemeinschaftlich vorgehen, ebenso in bezug auf verschiedene ägyptische
Fragen, wie Quarantäne, Suezkanal, Liquidationskommission u. a. Daß
er die Vermittlung Deutschlands China gegenüber verlangen werde, wie
hier behauptet wird, leugnet er.
Berlin, 2. November 1884.
Heute Vormittag Kirche. Dann Auswärtiges Amt, wo ich die
Angelegenheit der afrikanischen Westküste studierte. Ich wurde darin
gestört durch einen Brief des Adjutanten, der mich auf ½4 Uhr zum
Kaiser berief. Ich fand den Kaiser auffallend frisch und munter und
blieb eine Stunde. Er sprach von den guten Beziehungen zu Frankreich
und lächelte dazu. Dann kam er auf England und beklagte die dortige
radikale Strömung bei der Regierung und Chamberlains Absicht, durch
einen Pairsschub die Reform durchzusetzen. ) Das beunruhigt ihn, und er
1) Die deutsche Flagge war von jungen Burschen zerrissen worden.
2) Er war am 26. in Varzin.
3) Die Wahlreformbill.