28 Im Reichstage (1870 bis 1874)
Preußen erwägen, ob es sich diesem Schritt anschließen werde. Was das
Asyl betrifft, so war der König dagegen, Bismarck dafür. Bismarck sah
nur den politischen Vorteil, unterschätzt die Wirkung, welche der Aufent-
halt des Papstes auf die Aufrechterhaltung des konfessionellen Friedens
haben wird, und glaubt den Papst dann für seine Zwecke benutzen zu
können. Der König dagegen fürchtet die Verwicklungen, die daraus entstehen
können, meiner Ansicht nach mit Recht. Ledochowski ist unverrichteter
Sache abgereist. Sehr hübsch ist, daß Bismarck ihm u. a. gesagt hat, ob
die weltliche Herrschaft für die Kirche nötig sei, könne doch nicht er, son-
dern müsse der unfehlbare Papst entscheiden. Also müsse der Papfst erst
sagen, was denn in dem Protest enthalten sein solle.
Die Verhandlungen mit den bayrischen Ministern bezeichnet Bismarck
deshalb als schwierig, weil jeder von ihnen etwas andres sage, so daß
man nicht ermessen könne, was die Regierung wolle.
Sachsen hat immer noch den Hintergedanken, auf den alten Bund
zurückzukommen. Der Kronprinz von Sachsen ist antipreußischer als je.
Seine Ernennung zum Armeekommandanten sah er als ein ihm zu-
kommendes Recht an und dankte kaum. Weimar steht unter diesem Ein-
fluß, verhielt sich anfangs der Kaiseridee gegenüber kühl, sprach von Wahl-
kapitulation, scheint sich aber später mit dem Gedanken ausgesöhnt zu
haben. Koburg will ein Oberhaus und Reform der Bundesverfassung.
Bismarck scheint längere Zeit wirklich den Gedanken gehabt zu haben,
Napoleon wieder einzusetzen. Moltke war dagegen. Dadurch erkläre ich
mir die Haltung Bazaines, der ohne Zweifel mit Bismarck korrespondierte,
bis es dann zum Durchbruch zu spät wurde. Als mir Grammont gestern
sagte, daß Bazaine ein Verräter par ambition sei, erwiderte ich ihm: „II a
fait de la politique au lieu de faire la guerre.“ Was er zugab mit
dem Bemerken: „Un soldat ne doit pas faire de la politique.“
In den Konzessionen an Bayern scheint man sehr weit gegangen zu
sein. Das Zugeständnis der selbständigen Armee war dem König Wilhelm
schwer. Auch der Kronprinz wollte nicht so viel zugestehen als Bismarck,
und dieser hatte infolge seines Gesprächs mit dem Kronprinzen sein ge-
wöhnliches Gallenerbrechen.
Prinz Otto ist vom König hierherberufen worden. Er hat keine
Mission von Versailles. Der König wollte ihn hören, und Otto hat nun
hier gegen die Kaiseridee, gegen Reise und alles gehetzt. Der König soll,
als die Königin ihn sprechen wollte, ihr haben sagen lassen: „Ich bin
nicht in der Stimmung, eine preußische Prinzeß zu sehen!“
So schwankt man hier zwischen Wollen und Nichtwollen, zwischen
Nachgiebigkeit und altem Familienstolz. Und schließlich unterwirft man
sich aus Furcht.