Straßburg (1885 bis 1894) 377
die Wache aufgestellt, die das Gewehr präsentierte. Die Musik spielte
den Königsmarsch. An der Treppe empfingen mich sechs Kammerherren,
die mich hinaufgeleiteten. Die ganze Treppe war von Hellebardieren be-
setzt. Auf dem ersten Absatz der Treppe kamen noch sechs Kammerherren
hinzu. Während wir die Treppe hinaufstiegen, spielte die Musik die
„Brabangonne“. Oben fand ich den Minister des Aeußern und den
Hofstaat vom Dienst. Die Königin empfing der Trauer wegen nicht im
Thronsaal, sondern in einem kleinen Salon, wohin mich der Minister
führte. Die Königin stand am Fenster und wartete auf meine Anrede,
die ich französisch hielt und in der ich die Teilnahme des Kaisers an dem
Tode des Königs übermittelte, seine Aeußerungen über die Persönlichkeit des
Verstorbenen hervorhob und versicherte, daß der Kaiser die Sympathie,
die er für den König gehabt, auch auf die Königin-Regentin übertragen
werde. Die Königin dankte französisch und bat mich, Seiner Mojestät
zu sagen, wie gerührt und dankbar sie für alle die vielen Beweise der
Teilnahme sei, die sie von Seiner Majestät und der kaiserlichen Familie
empfangen habe. Dann sagte sie deutsch: „Ich glaube, wir kennen uns
schon lange,“ was ich bejahte, indem ich an ihren Aufenthalt in Aussee
erinnerte. Sie erzählte dann von der Krankheit des Königs, und ich war
erstaunt zu hören, daß die Königin als Todesursache nicht Lungenschwind-
sucht, sondern Anämie und allgemeine Schwäche angab. Sie meinte, der
König sei nicht mehr stark genug gewesen, um den Schleim auszuwerfen,
und dadurch sei Lungenlähmung eingetreten. Andre sagen, die Lungen
seien beide vollkommen zerstört gewesen. Da aber keine Sektion statt-
gefunden hat, so ist darüber nichts Bestimmtes zu erfahren. Nach den
Nachrichten, die Graf Solms hat, ist es galoppierende Schwindsucht ge-
wesen. Die Königin sprach dann noch von andern Dingen, erkundigte sich
nach meiner Familie und entließ mich, worauf ich ihr noch Graf Kanitz.
und Graf Schlippenbach vorstellte. Die Königin macht einen sehr guten
Eindruck. Sie sieht traurig, resigniert, aber entschlossen aus, und als ich
ihr sagte, daß man hier mit ihrer Haltung und der Art, wie sie die Ge-
schäfte leite, sehr zufrieden sei, nahm sie das als etwas Selbstverständ-
liches hin und sagte nur: „Ich werde meine Pflicht für meine Kinder zu
erfüllen wissen.“ Sie ist eine ruhige, vornehme Natur, die den Spaniern
imponieren muß.
Nachdem ich die Herren und Damen des Hofs im ersten Saal be-
grüßt hatte, ging ich, wieder in gleicher Weise begleitet, die Treppe hin-
unter. Wieder spielte die Musik, die Hellebardiere präsentierten ihre
Hellebarden, die Kammerherren wandelten schweigend die Treppe hinunter,
und unten bestiegen wir wieder unsre Wagen und fuhren im Schritt durch
die gaffende Menge nach dem Hotel de Rome zurück.