Straßburg (1885 bis 1894) 397
im Mesmerschen Hause zu melden. Das Wetter war kalt und regnerisch.
Ich fand dort niemand, erhielt aber bald darauf die Einladung zum
Familiendiner um 5 Uhr. Auf der Terrasse vor dem Kursaal fand ich
Maxime Ducamp, mit dem ich mich lange unterhielt. Er sagte, daß er
nur Gutes aus Elsaß-Lothringen höre, daß man mich anfangs mit Sorge
habe ankommen sehen, daß man aber jetzt beruhigt sei. Dann sprach er
von Frankreich, meinte, unter den Orleans sei niemand, der sich zur
Uebernahme der Regierung und zu einem Staatsstreich eigne und sah
schwarz. Dabei erzählte er mir, er habe gehört, im Grand Orient in
Paris habe man den Beschluß gefaßt, sich jetzt besser zu Deutschland zu
stellen und Elsaß-Lothringen definitiv aufzugeben. Dann kam er auf die
Juden und sagte, er habe einmal die Bekanntschaft von Karl Marx ge-
macht, dieser habe ihm gesagt, die Internationale und seine Partei erkenne
keine einzelnen Nationen, nur die Menschheit an. Er habe darauf erwidert,
es sei wahr, daß die Nationalität erst ein Moment zweiten Ranges sei,
aber mit diesem an erster Stelle der zweiten Momente stehenden Prinzip
habe man doch große Dinge ausgeführt. Darauf habe ihm Marx leiden-
schaftlich geantwortet: „Comment voulez-vous que nous ayons du patrio-
tisme, nous, qui depuis Titus Wavons plus de patrie!“ Das sei, meinte
Maxime Ducamp, die Ursache der Internationale, die eigentlich den Juden
ihre Entstehung verdanke. Er glaubt, daß die Juden nach der Universal-
herrschaft streben, „Ia monarchie juive universelle“. Die Könige von
Frankreich hätten den Grundsatz gehabt, keinen Untertan zu dulden, der
reicher als der König sei. Wenn dies der Fall gewesen, so habe man
den reichgewordenen Untertan aufgehängt und ihm sein Vermögen weg-
genommen. Er belegte dies mit Beispielen. So werde es auch die fran-
zösische Nation machen, die jetzt der Souverän sei. Der Augenblick werde
nicht mehr lange auf sich warten lassen; denn die Rothschilds hätten schon
sechs Milliarden.
Mit Wilmowski — dies ist noch nachzutragen — sprach ich von dem
Bezirkspräsidenten. Die Ernennung von Schlumberger zum Präsidenten
in Colmar beurteilt er wie ich und sieht in dem von Ledderhose und
Puttkamer angeregten Gedanken eine große Schwäche und eine überflüssige,
gefährliche Konzession an die Elsässer. Dagegen gefällt ihm der Gedanke,
Stichaner zum Präsidenten in Straßburg zu machen, sehr gut, und er
meinte, das, was ihm an bureaukratischem Eifer fehle, könne ein guter
Oberregierungsrat ersetzen.
Um 5 Uhr Diner bei den Majestäten. Ich begegnete den größten
Lobsprüchen über meine Rede. Die Kaiserin hatte sich gleich zum Kaiser
hinüberrollen lassen, wie sie sagte, um ihm die Rede zu bringen. Die
Großherzogin sagte gerührt, sie habe nie etwas so Ergreifendes und