Full text: Denkwürdigkeiten des Fürsten Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst. Zweiter Band. (2)

34 Im Reichstage (1870 bis 1874) 
Heute Abend begegnete ich Roggenbach, der eben von Versailles 
kommt, um im Reichstag für die Annahme der Verträge zu wirken. Er 
sagt, er lese gar nicht, was in den Verträgen stehe. Man müsse jetzt den 
Moment ergreifen, da man nie wieder einen König von Bayern finden 
werde, der wegen Zahnschmerzen die Kaiserkrone anbiete! Ueber die 
Tätigkeit Holnsteins scheint sich Bismarck ziemlich geringschätzig geäußert 
zu haben. Ich stimme Roggenbach bei, wenn er sagt, daß wir uns un- 
säglich blamieren würden, wenn wir in Deutschland den Moment der 
endlichen Einigung ungenutzt vorübergehen ließen. Er sprach sich für 
die Annexion von Elsaß-Lothringen aus, bestritt, daß der Kronprinz 
dagegen sei. Doch müsse man die Grenze über die Vogesen hinüberlegen 
wegen der Kohlengruben für Mülhausen. Die Abtretung des Streifens 
von Hagenau an Bayern hält er nicht für unmöglich. 1) In bezug 
  
Zustände aus dem Jahre 1866/67, darunter einen auszüglichen Bericht des fran- 
zösischen Gesandten in München, Marquis de Cadore, in dem zwei Unterredungen 
wiedergegeben werden, die Cadore nach seinem unmittelbar vorher erfolgten Amts- 
antritt in München zuerst mit König Ludwig und dann mit dem Fürsten Chlodwig 
Hohenlohe gehabt hatte, der damals (31. Dezember 1866) gerade zum bayrischen 
Ministerpräsidenten ernannt worden war. Cadore, ein früherer durch Gunst empor- 
gekommener Marineoffizier, erzählt, daß er gleich bei seiner ersten Unterredung 
mit dem König Ludwig in mehr seemännischer als diplomatischer Geradheit die Rede 
auf den für Bayern unglücklichen Krieg von 1866 gebracht und den König direkt 
gefragt habe, wie Bayern sich im Falle eines Krieges zwischen Frankreich und 
Preußen stellen würde. Auf diese Frage habe der König sich „mehr niedergeschlagen 
als resigniert“ gezeigt, so daß der Gesandte den Eindruck erhielt, als ob der König 
keineswegs fest entschlossen sei, bei einem Kriege zu Preußen zu stehen. Gleich 
darauf hatte Herr von Cadore auch eine Unterredung mit dem Fürsten Hohenlohe, 
an den er die gleiche Frage richtete. Nach anfänglicher Zurückhaltung habe der 
Fürst ihm erwidert, daß Bayern, falls es zu einer Entscheidung genötigt würde, 
unter allen Umständen auf die Seite Preußens treten werde, ohne 
Rücksicht auf die Ursache des Krieges oder auf das Programm, auf 
das hin Frankreich den Krieg eröffne. Der Gesandte faßte den Eindruck, 
den er von dieser Unterredung gehabt hatte, dahin zusammen, daß, falls Frankreich 
nicht auf die Möglichkeit verzichten wolle, Bayern im Falle eines Krieges als Ver- 
bündeten auf seiner Seite zu haben, man vor allem und zunächst den König von 
Bayern werde bewegen müssen, sich einen andern Ministerpräsidenten zu nehmen, 
da unter dem Fürsten Hohenlohe ein französisches Einvernehmen mit Bayern ganz 
ausgeschlossen sei. Diese Schriftstücke sind seinerzeit dem Deutschen Kaiser eingesandt 
worden, und es liegt nahe, daß, als der als bayrischer Ministerpräsident (7. März 1870) 
gestürzte Fürst Hohenlohe später zum Botschafter des Deutschen Reiches in Paris 
ernannt wurde, jene zufällig bekannt gewordene Depesche, die der unbedingten 
nationalen Zuverlässigkeit des Fürsten ein so glänzendes Zeugnis ausstellte, auf 
seine Ernennung nicht ohne Einfluß gewesen ist.“ 
1) Der bayrische Minister Graf Bray hatte den Fürsten gebeten, sich dafür zu 
verwenden.
	        
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