422 Straßburg (1885 bis 1894)
aber die Regierung hier nach und nach abgebröckelt ist, wird es den
Herren in Berlin leicht werden, das ganze Gebäude über den Haufen zu
werfen. Ich denke also, die Sache beim alten zu lassen, Puttkamer die
Vertretung des Staatssekretärs zu übertragen und jedenfalls den Winter
abzuwarten. Puttkamer ist gescheit, redefertig, mit den hiesigen Verhält-
nissen vertraut und mir so weit ergeben, als es in seinem Interesse liegt,
besonders wenn er die Aussicht hat, mit der Zeit Staatssekretär zu werden.
Ems, 6. Juli 1887.
Gestern in Koblenz bei der Kaiserin zum Frühstück. Dann zum Diner
mit Alexander und Thaden und Abends zum Tee. Die Kaiserin war
wohlwollend wie immer. Prinz Hermann von Weimar erzählte viel von
London, so daß beim Tee die Kaiserin nicht zum Wort kommen konnte.
Abends fuhren wir noch vom Tee direkt zur Bahn und waren um
11 Uhr hier.
Heute Morgen Badepromenade. Dann Frühstück auf dem Pilz mit
Prinz Wilhelm, Prinz Nikolaus von Nassau, Perponcher, Reischach und
andern. Die Meldungen wurden gemacht und dann Karten ausgetragen
durch Thaden und Alexander. Ich ging unterdessen mit Radolinski
spazieren, der mir heute Nachrichten vom Kronprinzen brachte. Mackenzie
scheint doch recht gehabt zu haben. In Berlin wollten die Aerzte ope-
rieren. Mackenzie kam im letzten Augenblick auf Wunsch der Berliner
Aerzte und verhinderte die Operation. Bismarck hatte sich zum Kaiser
begeben und gegen die Operation gesprochen. Teilnahmlosigkeit des alten
Herrn, auch des Hofs, d. h. der Umgebung. Prinz Wilhelm wollte die
Vertretung in London haben und war dann mißgestimmt, als der Kron-
prinz selbst ging. Es gibt Leute, die den Prinzen Wilhelm als Nachfolger
vorzögen und die wahrscheinlich hetzen. Der Reichskanzler ist für den
Kronprinzen. Hoffentlich wird er wieder gesund; denn Prinz Wilhelm
ist noch zu jung.
Mit Wilmowski sprach ich über Puttkamer. Er riet entschieden ab,
ihn jetzt wegzutun. Ich soll in Berlin sagen, daß ich seine Erfahrung
und sein Talent noch nicht entbehren kann und ihn vorläufig behalten muß.
Er wundert sich, daß Bismarck jetzt gegen Puttkamer ist und begreift es
nicht. Wahrscheinlich will man in Berlin, daß ich mich blamiere. Wil-
mowski## hält Studt für einen sicheren und guten Beamten. Um 3 Uhr
war ich beim Kaiser. Ich fand ihn zwar schwach auf den Beinen, aber
von gutem Aussehen und geistig frisch. Er sprach von den Verurteilungen
in Leipzig,!) von der Aufregung, die das in Frankreich hervorgerufen habe
1) Mehrere im Elsaß lebende Mitglieder der Patriotenliga waren am 18. Juni
wegen Vorbereitungshandlungen zum Hochverrat verurteilt worden.