Straßburg (1885 bis 1894) 433
An den Chef des Zivilkabinetts Wirklichen Ge-
heimen Rat von Wilmowski.
Straßburg, 10. Mai 1888.
Eurer Exzellenz beehre ich mich nachstehendes ergebenst mitzuteilen:
Schon im Laufe des vergangenen Jahrs tauchte in Berlin von Zeit
zu Zeit der Gedanke auf, es müsse in Elsaß-Lothringen an der fran-
zösischen Grenze der Paßzwang eingeführt werden. Doch wurde derselbe
nicht weiter verfolgt, und ich hoffte schon, daß er aufgegeben sei, als im
Februar dieses Jahrs die Sache durch ein Schreiben des Grafen Herbert
Bismarck angeregt wurde. Ich erklärte mich dagegen und legte meine
Gründe ausführlich dar, bekam aber bald darauf ein vom 19. April datiertes,
vom Fürsten Bismarck selbst gezeichnetes Schreiben, in welchem Fürst
Bismarck auf seiner Ansicht beharrte, indem er auf die Notwendigkeit
hinwies, die wirtschaftliche Trennung Elsaß-Lothringens von Frankreich
durch solche Verkehrshemmnisse zu fördern, wobei er die Absicht kundgab,
der Kaiserlichen Botschaft in Paris die Weisung zu erteilen, die Pässe
nur solchen Personen zu visieren, über deren Zulassung in Elsaß-Loth-
ringen die Behörden des Reichslands ihr zustimmendes Gutachten erteilt
haben würden. Am Schlusse seines Schreibens bat mich der Reichskanzler,
die nötigen Anordnungen zur Einführung des Paßzwangs zu erlassen.
Ich habe in meiner Antwort vom gestrigen Datum diese Zumutung
abgelehnt, weil ich die bisher getroffenen Anordnungen für ausreichend
ansehe, den Eintritt der Franzosen zu erschweren. Bekanntlich darf kein
Franzose seinen Aufenthalt hier nehmen, ohne dazu von den Behörden
autorisiert zu sein. Schon diese Verkehrshemmnisse haben hier große
Mißstimmung erregt. Käme noch ein zeitraubender, kostspieliger Paß-
zwang dazu, so würde hier die Erbitterung einen Grad erreichen, bei dem
schließlich nichts übrigbliebe, als den Belagerungszustand zu erklären.
Damit wäre dann das Ziel erreicht, das manchen militärischen Kreisen
als die wünschenswerteste Lösung der elsaß-lothringischen Fragen vor-
schwebt. Da ich aber die Absicht habe, auf meinem Posten auszuharren,
solange ich das Vertrauen Seiner Majestät besitze, so kann man von mir
nicht erwarten, daß ich den Ast, auf dem ich sitze, selbst absäge. Aber
ganz abgesehen von meiner Person sind die Folgen des unter so lästigen
Bedingungen eingeführten Paßzwangs auch in betreff der Beziehungen
zu Frankreich so ernster Natur, daß ich keine Lust habe, vor der Welt
das Odium auf mich zu nehmen, durch meine Verwaltung den Krieg an-
gebahnt zu haben. Sollten Eure Exzellenz mit Seiner Majestät oder mit
dem Kronprinzen von der Sache zu sprechen haben, so bitte ich die Gründe
meiner Weigerung gütigst vertreten zu wollen.
Fürst Hohenlohe, Denkwürdigkeiten. U 28