436 Straßburg (I885 bis 1894)
Heute war ich auf 12½ Uhr zum Kaiser bestellt. Ich fand ihn besser,
als ich erwartet hatte, zwar blaß und mager, aber teilnehmender und
heiterer als das letztemal. Er schrieb mir auf einen Zettel, was die Paß-
angelegenheit in Elsaß-Lothringen für eine Bedeutung habe. Ich hielt ihm
darüber ausführlichen Vortrag, dem er aufmerksam zuhörte. Ich berichtete
über die ganze Korrespondenz mit dem Reichskanzler. Als ich erwähnte, daß
man in Frankreich gegen mich erbittert sei, fragte er nach dem Grunde. Ich
erwähnte alle Maßregeln und sagte, daß besonders das Verbot der Jagd-
karten Erbitterung hervorgerufen habe. Dann fragte er mich, wie es
meiner Familie gehe. Ich erwähnte, daß ich nächstens nach Wien zur
Hochzeit 1) gehen würde. Er machte Zeichen der Teilnahme, indem er die
Hand aufs Herz legte. Dann entließ er mich.
Nachmittags war ich beim Kronprinzen, der die Maßregel des Paß-
zwangs für notwendig hält und die Auffassung der Militärs teilt, daß
man den Franzosen Uebles zufügen müsse. Ich ließ mich darauf nicht
ein, bemerkte nur, daß die französische Nation den Krieg fürchte. Wir
kamen dann auf die russischen Zustände zu sprechen, die er richtig
beurteilt. Er läßt dem Kaiser von Rußland alle Gerechtigkeit wider-
fahren, bedauert nur, daß er so träge und religiös fanatisiert sei.
Bismarck habe sich mit dem Kaiser sehr gut auseinandergesetzt, dieser
habe aber das Mißtrauen aller wenig begabten Menschen gegen sehr
hervorragende Individualitäten. Er erzählte mir von der Entrevue
zwischen Bismarck und dem Kaiser, von den gefälschten Papieren,
die man gemacht und ihm vorgelegt habe, um ihn abzuhalten, nach Berlin
oder Stettin zu kommen. Alles sei bereit gewesen, die Jacht im Hafen
geheizt, als der Kaiser die Aktenstücke auf seinem Schreibtisch gefunden habe.
Das habe ihn geärgert und deshalb sei die Entrevue in Stettin unter-
blieben. Der Kronprinz glaubt, daß Mohrenheim, Catakazy und Ignatiew
die Sache gemacht und durch den Groffürsten Alexis nach Kopenhagen
geschickt hätten.
Berlin, 26. Mai 1888.
Ich ging heute Nachmittag zu Friedberg, der mir noch von der Paß-
angelegenheit sprach. Der Reichskanzler hat meinen Brief, den Friedberg
als etwas stark bezeichnete, im Ministerrat vorgelesen und dabei geäußert,
es scheine, als wolle ich nicht mehr bleiben. Er hob alle Gründe hervor,
die für seine Ansicht sprechen, und scheint die Kollegen nicht gerade über-
zeugt, aber eingeschüchtert zu haben. Friedberg meinte, es sei dies keine
günstige Veranlassung zum Rücktritt gewesen, ich habe gut getan, zu
bleiben.
1) Des Neffen des Fürsten, Prinzen Konrad, mit der Gräfin Schönborn, die am
10. Juni 1888 stattfand.