442 Straßburg (1885 bis 1894)
Wir kamen um 7 Uhr in Mülhausen an. Der Empfang war nicht
enthusiastisch, aber höflich und anständig. Ich fuhr mit dem Kreisdirektor
und dem Bürgermeister nach dem Zentralhotel, wo wir übernachteten.
Um 8 Uhr gab ich ein Souper. Dabei war Heuduck, der gerade in Mül-
hausen zu tun gehabt hatte und uns nach Sewen begleiten wollte, dann
die Behörden, einige Gemeinderäte und Offiziere, im ganzen fünfundzwanzig
Personen. Geredet sollte nicht werden. Nun brachte mir aber vor Tisch
Jordan die Rede, die Theodor Schlumberger halten wollte. Ich mußte
also antworten und benutzte die Gelegenheit, um nach Berlin einen Avis
zu geben und die hiesige Bevölkerung zu beruhigen.!) Das Souper war
1) Der Vertreter des Präsidenten der Handelskammer, Herr Theodor Schlum-
berger, hielt bei dieser Gelegenheit folgende Ansprache:
Vor mehr wie zwei Jahren beehrte Durchlaucht unfre Stadt mit einem ersten
freundlichen Besuche.
Es erfreut uns sehr, wieder einmal, wenn auch nur bei einer kurzen Durch-
reise, die Gelegenheit zu haben, ehrerbietig Durchlaucht in unfrer Mitte begrüßen
zu können.
Wir geben uns der Hoffnung hin, daß diese Beweise der Teilnahme sich wieder-
holen und zu heiß erwünschten Erleichterungen Anlaß geben werden.
Mülhausen ist ausschließlich eine Arbeiterstadt, ein Ort des Schaffens und des
Gewerbefleißes.
Kunst und Wissenschaft, Literatur und Politik zählen nur verschwindend wenig
andre als zeitweilige und nur knapp bemessene Muße genießende Anhänger.
Langeweile, Mißbehagen sogar, empfindet hier kurz nach der Ankunft der un-
beschäftigte Reisende. Die Gastfreundschaft auszuüben haben wenige unter uns
Zeit oder Gelegenheit.
Wer uns aber kennen oder beurteilen will, irrt sich sicher, wenn er nicht jahre-
lang unser Leben mitgelebt hat und sich noch dabei von jedem Vorgedanken und
jeder Parteilichkeit mit seltener Willenskraft und Selbstbeherrschung loszumachen
gewußt hat.
Aus eigner und vielfacher Erfahrung kann ich sagen, daß zielbewußtes Wohl-
wollen, freundliches Entgegenkommen, Zeit und Geduld mehr von unfsrer Bevöl=
kerung zu erreichen imstande sind als scharfes, noch so gerechtfertigtes Vorgehen.
Wollen Durchlaucht mit Genugtuung diese Aeußerung anzunehmen und huld-
reich unfre Wünsche des Willkommens und eines öfteren Gesinnungsaustausches zu
empfangen geruhen.
Hoch dem Kaiserlichen Statthalter! Es lebe Seine Durchlaucht der Fürst von
Hohenlohe!
Hierauf erwiderte der Fürst:
Ich danke Herrn Schlumberger für seine freundliche Begrüßung, die ich mit
den herzlichsten Wünschen für das Gedeihen der Stadt Mülhausen beantworte.
Herr Schlumberger hat in seiner Rede das politische Gebiet leise gestreift, ich
glaube daher mit einigen Worten darauf eingehen zu sollen.
Wenn eine Nation ein Land erobert oder wiedergewinnt, so will sie es auch
behalten. Sie ergreift daher alle Maßregeln, um ihren Besitz zu sichern. Diese
Maßregeln sind um so schärfer, je lebhafter sich das Bestreben des Nachbarn geltend