Full text: Denkwürdigkeiten des Fürsten Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst. Zweiter Band. (2)

Straßburg (1885 bis 1894) 465 
Berlin, 26. März 1890. 
Der Großherzog von Baden, bei dem ich gestern früh war, weiß sehr 
viel über die letzte Krisis, aber auch nicht alles. Er behauptet, daß die 
Ursache des Bruchs zwischen dem Kaiser und Bismarck eine Machtfrage 
sei und daß alle andern Meinungsverschiedenheiten, über soziale Gesetz- 
gebung und andres, nebensächlich gewesen seien. Der Hauptgrund war 
die Frage der Kabinettsorder vom Jahre 52, welche letztere Bismarck den 
Ministern ohne Wissen des Kaisers einschärfte und ihnen damit die 
Möglichkeit nahm, dem Kaiser Vortrag zu halten. Der Kaiser wollte, 
daß diese Kabinettsorder aufgehoben werde, während Bismarck sich da- 
gegen erklärte. Auch die Unterredung mit Windthorst hätte nicht zum 
Bruch geführt. Bei der Besprechung des Kaisers mit Bismarck soll dieser 
so heftig geworden sein, daß der Kaiser nachher erzählte: „Daß er mir 
nicht das Tintenfaß an den Kopf geworfen hat, war alles.“ 
Dazu kam das Mißtrauen des Kaisers in die auswärtige Politik des 
Fürsten. Der Kaiser hatte den Verdacht, daß Bismarck die Politik nach 
seinen, dem Kaiser unbekannten Plänen leiten und es dahin führen wolle, 
Oesterreich und die Tripelallianz aufzugeben und sich mit Rußland zu 
verständigen, während der Kaiser dies nicht will und an der Allianz fest- 
hält. Auch in Wien soll, wie Münster sagt), großes Mißtrauen gegen 
Herbert Bismarck herrschen. Das mußte zum Bruche führen. Ob es 
wahr ist, daß der Kaiser einen Brief ohne Wissen des Kanzlers an die 
Königin Viktoria geschrieben habe, der dann in Berlin bekannt geworden 
ist, konnte ich nicht erfahren. Behauptet wird es. 
Berlin, 27. März 1890. 
Heute um 2 Uhr ging ich zu Bismarck, den ich sehr wohl und kräftig 
fand. Als ich sagte, daß das Ereignis mir sehr unerwartet gekommen 
sei, meinte er: „Mir auch,“ denn vor drei Wochen hätte er noch nicht 
gedacht, daß es so endigen würde. „Uebrigens,“ setzte er hinzu, „mußte 
ich es erwarten, denn der Kaiser will nun einmal allein regieren.“ Er 
erwähnte dann die einzelnen Streitpunkte zwischen ihm und dem Kaiser, 
das Arbeiterschutzgesetz, das der Kaiser wolle und das doch nur ein 
Arbeiterzwangsgesetz sei, und kam auf die Frage der Ministerpräsident- 
schaft zu sprechen, indem er es als unzulässig bezeichnete, daß jeder 
Minister für sich und ohne den Ministerrat oder den Präsidenten zu 
fragen, mit dem Kaiser verhandle. Gegen Verdy hat er Mißtrauen, 
und gegen die Minister ist er gereizt, weil sie ihn im Stich gelassen 
hätten, weil sie mehr den Kaiser als ihn fürchteten. Dabei sei seine 
Autorität nicht zu erhalten gewesen. Auch den Großherzog von Baden 
nannte er unter seinen Gegnern. Als ich ihm sagte, es sei wohl denkbar, 
Hohenlohe, Denkwürdigkeiten. II 30
	        
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