470 Straßburg (1885 bis 1894)
und im Angesicht der heimatlichen Landschaft. Dabei leitete mich der
Wunsch, die katholische Kirchengemeinde von einer störenden Last zu be-
freien. Denn wenn jetzt die Gruft in der Kirche geöffnet werden sollte,
mußten die Kirchenstühle entfernt und der Boden aufgerissen werden. Und
dafür hoffe ich, daß auch die Bewohner von Schillingsfürst diesen Fried-
hof achten und schützen werden und empfehle ihn dem Schutze der Gemeinde.
Nun bitte ich den Herrn Pfarrer, die Weihe vorzunehmen.“ Dies geschah.
Nachdem der Pfarrer die Gebete gesprochen und das Weihwasser auf
den Stein gespritzt hatte, zog er sich zurück und hielt keine Ansprache,
worüber die Anwesenden sehr unzufrieden waren. Um 2 Uhr war Diner,
und Abends fuhr ich in die Wolfsau, wo ich eine Geiß schoß.
Berlin, 18. Juni 1890.
Zwei Dinge sind mir in den drei Tagen, die ich jetzt hier zugebracht
habe, aufgefallen: erstens, daß niemand Zeit hat und alle in größerer
Hetze sind als früher, zweitens, daß die Individuen geschwollen sind.
Jeder einzelne fühlt sich. Während früher unter dem vorwiegenden Ein-
flusse des Fürsten Bismarck die Individuen eingeschrumpft und gedrückt
waren, sind sie jetzt alle aufgegangen wie Schwämme, die man ins Wasser
gelegt hat. Das hat seine Vorzüge, aber auch seine Gefahren. Der ein-
heitliche Wille fehlt.
Gestern früh um 11 Uhr ging ich zu Caprivi. Ich teilte ihm unfre
Verfügung über die Paßangelegenheit und den Brief an Münster mit.
Er war einverstanden.1) Um 1 Uhr fuhr ich nach Potsdam, wo das
Galafrühstück zu Ehren der Verlobung der Prinzessin Viktoria ) stattfand.
Erst kurzer Cercle des Brautpaars, das der Kaiser vorstellte. Nach dem
Frühstück, bei welchem ich zwischen Viktor und Schweinitz saß — Schweinitz
sprach nicht ein Wort über unfre Angelegenheiten —, kam der Kaiser
auf mich zu, begrüßte mich und sprach von dem Ankauf der Güter in
Elsaß-Lothringen, erledigte das rasch und ohne besonderes persönliches
Interesse zu zeigen — er meinte, es würde nützlich sein, um andre zum
Kaufen anzufeuern.
Berlin, 19. Juni 1890.
Aus den Mitteilungen, die ich gestern im Auswärtigen Amt erhielt,
geht hervor, daß das Abkommens) keineswegs ungünstig ist und daß wir
1) Der Reichskanzler hatte am 11. Juni auf eine Interpellation des Abgeord-
neten Richter im Reichstage über den Paßzwang gesprochen, gegen die Aufhebung,
aber für eine mildere Handhabung.
2) Mit dem Prinzen Adolf von Schaumburg-Lippe.
3) Das Abkommen über die Abgrenzung der englischen und der deutschen
Interessensphäre, welches am 17. Juni durch den „Reichsanzeiger“ veröffentlicht
wurde.