Straßburg (1885 bis 1894) 473
Wir würden uns also jetzt die Kurie nur noch mehr entfremden und die
Bischofswahl erschweren.
Straub sprach dann noch seine Besorgnisse über die geplante Katho-
likenversammlung aus. Ich sagte ihm, ich würde sie nicht dulden.
Abends, als ich mit Puttkamer darüber sprach, war dieser gegen das
Verbot, wollte aber darauf hinwirken, daß sie vom Klerus aufgegeben
wird.
Berlin, 21. Januar 1891.
Mein Aufenthalt hat den Vorteil, daß ich mich mehr und mehr orien-
tiere. Heute hatte mich Holstein mit Hatzfeld und Radolin zum Frühstück
eingeladen. Nach dem Frühstück wurde allerlei erzählt. Unter allen An-
wesenden herrschte Gereiztheit gegen Herbert Bismarck, von dem allerlei
Roheiten erzählt wurden. Nach und nach ging die Konversation auch auf
den alten Bismarck über, und Radolin erzählte manche unerfreuliche Züge.
So berichtete er, daß der Besuch Bismarcks bei der Kaiserin Friedrich
im Augenblick seines Sturzes richtig sei; doch habe Bismarck nicht, wie
Blowitz behauptet, die Kaiserin gebeten, ihm beim Kaiser das Wort zu
reden, sondern er habe, als die Kaiserin ihn gefragt, ob sie etwas für
ihn tun könne, nur gesagt: „Ich bitte nur um Mitgefühl.“ Ferner er-
zählte er, er habe Bismarck kurz vor dem Tode des Kaisers Friedrich zu
ihm geführt. Da sei Bismarck sehr ergriffen gewesen. Als Bismarck
dann in seinem Zimmer saß, ging Radolin zu ihm und sagte, es sei doch
recht ergreifend gewesen, worauf ihm Bismarck geantwortet: „Ich kann
jetzt keine Gefühlspolitik treiben.“ Als dann die Kaiserin Friedrich nach
dem Tode des Kaisers Bismarck zu sich kommen lassen wollte, ließ er ihr
sagen, er habe keine Zeit und müsse zum Kaiser, seinem Herrn, gehen.
Darum war es der Kaiserin Friedrich auch keine geringe Genugtuung, als
Bismarck nach seinem Sturz dringend bat, zu ihr kommen zu dürfen.
Hatzfeld erzählte, Herbert sei in diesem Sommer während seines Auf-
enthalts in England bei ihm gewesen, sie seien zusammen die Treppe
hinuntergegangen und da habe ihn Herbert nach seiner Gesundheit gefragt,
worauf Hatzfeld antwortete, es gehe ihm gut, nur habe er sehr viel zu
tun, worauf Herbert sagte: „Das mag auch eine schöne Politik sein, die
jetzt getrieben wird.“
Berlin, 25. Januar 1891.
Heute bei Marschall, der mir das Neueste von Schlözer mitteilte.!)
Um 4 Uhr zu Migquel,) mit dem ich über die Vertiefung der Kanäle in
Elsaß-Lothringen sprach. Er ist nach wie vor dagegen, weil dies die
1) Betreffend die Ernennung des Straßburger Bischofs.
2) Preußischer Finanzminister seit dem 24. Juni 1890.