Full text: Denkwürdigkeiten des Fürsten Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst. Zweiter Band. (2)

482 Straßburg (1885 bis 1894) 
wenn der Kaiser nicht übler Laune sei. Sei dies der Fall, so werde er 
die Sache vierzehn Tage später in Ostpreußen, wohin der Kaiser geht, 
vorlegen lassen. 
21. September. 
Heute Nachmittag kam Caprivi und teilte mir mit vergnügtem Gesichte 
die erfreuliche Nachricht mit, daß der Kaiser unfre Vorschläge genehmigt 
habe. Ich sprach dann noch mit Köller. Er telegraphierte nach Straßburg. 
So ist diese leidige Sache aus der Welt geschafft. 
Straßburg, 4. November 1891. 
Ich hatte kürzlich Gelegenheit, eine russische Persönlichkeit zu sprechen, 
die den Kaiser von Rußland und den Hof genau kennt und unbefangen 
urteilt. Dieselbe sagt, der Kaiser sei mißtrauisch und ohne jedes Selbst- 
vertrauen, dabei vollkommen ungebildet und beschränkten Geistes. Dazu 
komme eine große Trägheit und Indolenz. Die Vorträge der Minister 
und andrer hohen Würdenträger fänden äußerst selten statt und würden, 
wenn sie zufällig auf einen der zahlreichen russischen Feiertage fielen, mit 
Vergnügen verschoben. Wie die Geschäfte erledigt werden können, ist 
meinem Gewährsmann ein Rätsel. Die Unterlassung des Besuchs in 
Berlin tadelte mein Gewährsmann als einen politischen Fehler. Als ich 
meinte, die Furcht vor der panflawistischen, deutschfeindlichen Presse habe 
den Kaiser abgehalten, wurde mir erwidert: keineswegs. Der Kaiser 
kümmert sich nicht um die Presse. Der einzige Grund liegt darin, daß 
ihm der Besuch unbequem gewesen sei. Von der Presse sagte mein 
Gewährsmann, sie sei ganz abhängig und schreibe, was man ihr zu 
schreiben gestatte. Da man nicht wolle, daß sie sich mit der inneren 
Politik und mit den notwendigen Reformen beschäftige, so gewähre man 
ihr die Freiheit, in der Nationalitätsfrage alles zu sagen, was ihr gut 
dünke. Durch die Presse werde dann im Volke der Haß gegen Deutsch- 
land geschürt. Dieser stamme vom Kongreß von Berlin. Die Russen 
könnten uns nicht verzeihen, daß man ihnen ihre Beute entrissen habe. 
Niemals würde England allein den Krieg mit Rußland geführt haben. 
Dazu sei dann der materielle Schaden gekommen, den Bismarck den 
russischen Finanzen zugefügt habe, und endlich hätten die Austreibungen 
der russischen Arbeiter den Becher zum Ueberlaufen gebracht. Trotzdem 
wolle Rußland keinen Krieg, am wenigsten der Kaiser, dem die französischen 
russophilen Grimassen zuwider seien. 
Was aber mein etwas zu pessimistischer Gewährsmann fürchtet, ist 
die Revolution. Wenn der Kaiser den Fehler begehe, wozu er durch die 
Finanznot getrieben werden könne, eine parlamentarische Versammlung zu 
berufen, so sei er verloren. Die Unzufriedenheit nehme immer mehr zu,
	        
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