Full text: Denkwürdigkeiten des Fürsten Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst. Zweiter Band. (2)

Straßburg (1885 bis 1894) 483 
besonders in den gebildeten Klassen. Jeder denkende Mensch sei verdächtig. 
Deshalb gehe man mit dem Gedanken um, die Universitäten ganz zu 
schließen. Von alledem wisse der Kaiser wenig. Als er nach Finnland 
kam, nachdem man dem Lande seine Privilegien genommen hatte, war er 
sehr überrascht, einen kühlen Empfang zu finden. Er wußte nichts von 
der Russifizierung Finnlands! 
Berlin, 13. Dezember 1891. 
Gestern war ich Mittags nach Potsdam in das Neue Palais ein- 
geladen. Es waren außer mir noch der Fürst und die Fürstin von Wied 
mit Hofdame und Hofmarschall anwesend. Kaiser und Kaiserin waren 
sehr liebenswürdig. Der Kaiser sprach von seiner Jagd im Elsaß, meinte, 
es werde wohl noch einige Jahre dauern, bis der Stand gut sei. Dann 
drückte er seine Befriedigung über den Erwerb von Gensburg aus und 
sagte, als ich ihm mitteilte, daß nur wenig Platz in dem Schlößchen sei, 
dann könnten wir ja zusammen mit ein paar Herren darin ganz vergnügt 
einige Tage zubringen. Auf die Politik übergehend, äußerte er sein Miß- 
fallen über die Haltung der konservativen Partei, die die Bildung einer 
konservativ-monarchischen Partei gegenüber den Freisinnigen und Demo- 
kraten hindere. Dies sei um so trauriger, als die Freisinnigen, wenn sie 
auch hie und da gegen die Sozialdemokraten aufträten, doch im Grunde 
mit ihnen gingen. Mit den Handelsverträgen ist der Kaiser einverstanden 
und schien überhaupt großes Vertrauen in Caprivi zu setzen. Als wir 
auf die Intrigen und das allgemeine Räsonieren zu sprechen kamen, 
meinte der Kaiser, daß dahinter Bismarck stecke. Er fügte hinzu, man 
dringe von vielen Seiten in ihn, daß er sich mit Bismarck versöhnen 
solle. Er sei dazu bereit, aber es sei nicht an ihm, den ersten Schritt 
zu tun. Ueber die russischen Zustände schien er sehr genau informiert 
und hält sie für sehr bedenklich. Der Notstand werde noch zunehmen, 
die Räubereien auch, und um dem Notstand abzuhelfen, brauche die 
russische Regierung ein Anlehen von 600 Millionen Rubel, das sie 
nicht bekommen werde. Dabei sei der Kaiser zu indifferent. Statt in die 
Hungerprovinzen zu fahren, was einen sehr guten Eindruck machen würde, 
weigere er sich, dem bezüglichen Vorschlag der Minister Folge zu leisten. 
Als ich den Kaiser fragte, wie er jetzt mit dem Kaiser von Rußland stehe, 
sagte er: „Gar nicht. Er ist hier durchgereist,!) ohne mich zu besuchen, 
und ich schreibe ihm nun nur zeremonielle Briefe. Die Königin von Däne- 
mark hat ihn abgehalten, nach Berlin zu kommen und, um sicher zu sein, 
daß er nicht doch noch hierher käme, ist sie mit nach Livadia gefahren, 
  
1) Am 26. September.
	        
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