Straßburg (1885 bis 1894) 485
Wohl hat bald darauf eine Gewitterwolke den Horizont verdüstert,
die Hoffnungen schienen vereitelt, die meine Worte erregt hatten, und
unfre Freunde blickten mit Sorge in die Zukunft.
Indessen haben diese Zweifel und Sorgen nicht allzu lange gedauert,
und bald ist es möglich gewesen, die Wünsche des Landes zu erfüllen,
dank dem wohlwollenden, stets regen Interesse des Kaisers für das Reichs-
land, dank dem ruhigen, leidenschaftslosen Urteil des Reichskanzlers über
elsaß-lothringische Dinge und dank endlich dem loyalen und freimütigen
Schritt, der aus Ihrer Mitte getan wurde.
So ist denn die Maßregel gefallen, die, wenn auch seinerzeit un-
vermeidlich, doch störend auf das Gemütsleben des Volkes, mehr noch als
auf das Verkehrsleben, eingewirkt hat, — und sie konnte fallen, denn wir
werden auch ohne Paßzwang unfre Grenzen zu sichern, unser Hausrecht
zu wahren wissen. Sie aber, meine Herren vom Landesausschusse, konnten
frei von einer Sorge und ohne Verstimmung an Ihre Arbeit gehen. Diese
Arbeit ist nicht gering, denn wichtige, für die Gestaltung des öffentlichen
Lebens bedeutsame Aufgaben liegen Ihnen vor. Sie werden dieselben
mit gewohnter Gewissenhaftigkeit erwägen und Ihre Entscheidung zum
Wohl des Landes treffen. In dieser Ueberzeugung erhebe ich mein Glas
und trinke auf den Landesausschuß und seinen verehrten Präsidenten.
Journal.
Berlin, 4. April 1892.
Gestern früh 7 Uhr kam ich mit Marie in Berlin an. Ich schrieb
gleich an den Flügeladjutanten und erhielt bald darauf eine Einladung
zum Dejeuner bei den Majestäten, die Meldung von Marie war noch
nicht an die Kaiserin gelangt, weshalb ich allein geladen wurde. Den
Kaiser fand ich wohl, wenn auch noch etwas angegriffen von der Influenza.
Er war sehr freundlich und mitteilsam. Nach dem Frühstück kam die
Rede auf das Schulgesetz, wobei er sich darüber beklagte, daß man seitens
des Ministeriums auf seine Einwendungen, die er seit Monaten gemacht
hatte, nicht gehört habe. In dem gewissen Kronrat hat der Kaeiser sehr
ruhig und sachgemäß gesprochen und seine Ansicht, daß man nicht mit den
extremen Parteien ein Gesetz machen könne, auseinandergesetzt. Die Ein-
wendungen von Caprivi und Migquel gingen darauf hinaus, das Gesetz
noch durchberaten zu lassen. Zedlitz sagte nichts, sondern ging weg, beriet
sich zu Hause mit Kleist-Retzow, Kropatscheck und Hammerstein und gab
dann seine Entlassung. Der Kaiser äußerte sich sehr bitter über die kon-
servative Presse. Eulenburg von München hat dringend berichtet, welchen
schlechten Eindruck das Schulgesetz mache. Der Kaiser sagte mir noch,
man habe von Rom berichtet, daß die Jesuiten schon sieben Millionen zu-