Straßburg (1885 bis 1894) 499
Ansprache an den Landesausschuß am 7. März 1893.
Meine Herren! Ich habe Sie in diesem Jahre später als gewöhnlich
zu unfrer geselligen Vereinigung geladen. Der Grund ist Ihnen bekannt.
Das hat für mich die Folge gehabt, daß ich Ihnen beim Beginn Ihrer
Tätigkeit nicht persönlich meine Wünsche für die gedeihliche Entwicklung
Ihrer Geschäfte aussprechen konnte und daß ich mich nun darauf
beschränken muß, Ihnen in vorgerückter Stunde zu dem raschen Fortgang
Ihrer Arbeiten Glück zu wünschen.
Wenn diese Arbeiten rascher als gewöhnlich verlaufen sind, so liegt
dies auch daran, daß wir Ihnen verhältnismäßig wenige Vorlagen aus
dem Gebiete der Gesetzgebung gebracht haben. Sie werden dies nicht be-
dauern, denn ich weiß, daß Ihnen die Sehnsucht nach neuen Gesetzen
fremd ist. Ich kann das verstehen und beklage mich nicht darüber. Ja,
ich möchte sagen, daß es eher wohltuend ist, ein Land zu sehen, dessen
Bevölkerung in ihrer Mehrheit am Hergebrachten hängt und sich darin
wohl fühlt, die der Meinung ist, daß der gesetzliche Sinn mehr Wert hat
als das geschriebene Gesetz, und die sich von dem Fehler frei hält, bei
jedem physischen oder moralischen Unbehagen gleich nach gesetzlicher Ab-
hilfe zu rufen. Damit will ich nicht sagen, daß ich das Nichtzustande-
kommen der im vergangenen Jahre vorgelegten Organisationsgesetze nicht
bedauerte. Indessen beruhigt mich in dieser Beziehung der Gedanke, daß
der Sinn für Selbstverwaltung auch in diesem Lande mehr und mehr
Boden gewinnen wird. Wir werden aber langsam und stufenweise vor-
gehen müssen. Darum wird es sich empfehlen, uns vorderhand mit einer
Reform der Gemeindegesetzgebung zu begnügen, und ich bin entschlossen,
für die nächste Session eine neue Gemeindeordnung ausarbeiten zu lassen,
die natürlich in manchen Punkten von dem vorjährigen Entwurf ab-
weichen muß.
Daß die Gewerbesteuervorlage in der Kommission allseitiges Ent-
gegenkommen gefunden hat, habe ich mit besonderer Befriedigung ver-
nommen.
Ich habe überhaupt großes Vertrauen zu dem ruhigen, praktischen
Sinn des Landesausschusses. Die Erfahrung der Jahre, in welchen ich
die Ehre habe, an der Spitze des Landes zu stehen, hat mir gezeigt, daß
der Landesausschuß stets bereit ist, Hand in Hand mit der Regierung
trotz vorübergehender Meinungsverschiedenheiten das Wohl des Landes zu
fördern.
In dieser Ueberzeugung erhebe ich das Glas und trinke auf das
Wohl von Elsaß-Lothringen, auf dessen Vertreter im Landesausschuß und
auf ihren würdigen Präsidenten.