Full text: Denkwürdigkeiten des Fürsten Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst. Zweiter Band. (2)

Straßburg (1885 bis 1894) 507 
Regierung würde sich den Boden unter den Füßen wegziehen, wenn sie 
im Bundesrat dafür stimmte. 
Heute Abend im „Hannele“. Ein gräßliches Machwerk, sozialdemo- 
kratisch-realistisch, dabei von krankhafter, sentimentaler Mystik, unheimlich, 
nervenangreifend, überhaupt scheußlich. Wir gingen nachher zu Borchardt, 
um uns durch Champagner und Kaviar wieder in eine menschliche Stimmung 
zu versetzen. 
15. Dezember. 
Mit Holstein sprach ich heute über die Vorwürfe, welche die Bismarck- 
presse gegen den neuen Kurs und dessen auswärtige Politik erhebt, wo- 
gegen Holstein als Fehler der Bismarckschen Politik hervorhebt: den Ber- 
liner Kongreß, die Vermittlung in China zugunsten Frankreichs, die Ver- 
hinderung des Zusammenstoßes Englands und Rußlands in Afghanistan 
und die ganze trakassierende Politik gegenüber von Rußland. Bezüglich 
des letzten Plans Bismarcks, Oesterreich im Stich zu lassen, sagt er, dann 
würden wir uns dermaßen verächtlich gemacht haben, daß wir isoliert und 
von Rußland abhängig geworden wären. Das Ministerium Crispi be- 
unruhigt sowohl Caprivi wie auch Marschall und Holstein, weil man nie 
sicher sei, was der etwas aufgeregte Mann tun wird. Dazu hat er einen 
unruhigen Kopf, Blanc, zum Auswärtigen Minister gewählt, was auch 
bedenklich ist. Es handelt sich nun darum, nach Rom einen geschickten 
Botschafter zu ernennen, als welchen Holstein Bernhard Bülow in Aussicht 
genommen hat, was ich für sehr vernünftig halte. 
28. Dezember. 
Heute Morgen ging ich zum Reichskanzler, um mich bei ihm zu ver- 
abschieden. Wir sprachen von dem russischen Handelsvertrag und den 
Konservativen. Ich regte die Frage an, ob die Regierung es sich gefallen 
lassen könne, daß die Regierungspräsidenten und die Landräte mit dem 
Bauernbund gegen die Handelsvertragspolitik der Regierung agitierten. 
Er sagte, er sei eben im Begriffe, in einen Ministerrat zu gehen und dort 
die Frage zur Sprache zu bringen. Gegen die Landräte sei es nicht rat- 
sam vorzugehen, aber die Regierungspräsidenten könne man an den Ohren 
packen. 
Berlin, 19. Januar 1894. 
Gestern früh kam Münster zu mir und sprach von dem Gerücht, 
daß er abgehen solle. Er hat dazu keine Lust, ist aber bereit, die Ent- 
lassung zu geben, wenn man ihn nicht mehr haben will. 
Um 1 Uhr war ich zum Luncheon bei der Kaiserin Friedrich. Ich 
fand da Münster und seine Tochter mit General LoSö. Außer der Kaiserin 
waren noch der Prinz Heinrich und Prinz Schaumburg-Lippe mit Frauen
	        
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