4 Im Reichstage (1870 bis 1874)
Abends 8 Uhr war Fraktionssitzung der Freikonservativen. Hier
wurde die Frage der Auflösung der Partei und die Neubildung einer
größeren Fraktion beraten. Ich war mit Roggenbach, Hermann Langen-
burg und Wagner, dem ehemaligen württembergischen Kriegsminister, dort.
Aufgefordert, uns zu äußern, erklärte ich, daß ich mich in die Ent-
schließungen der Partei, ob sie fortbestehen wolle oder nicht, nicht mischen
wolle. Was uns betreffe, so seien wir bereit, ein neues Parteiprogramm mit
unsern süddeutschen Parteigenossen zu beraten, bäten aber erst, uns die
einzelnen Punkte des Programms mitzuteilen. Bethusy hielt dann eine
ziemlich konfuse, schwülstige Rede, aus der wenig zu entnehmen war.
Hierauf folgten noch Diskussionen zwischen Ujest, Renard, Friedenthal
und andern. In einer etwas stockenden Rede setzte dann ein dicker, ge-
mütlicher Mann auseinander, er sei aus Bayern und nur deshalb der
freikonservativen Fraktion beigetreten, weil er gehört habe, daß der Herr
Fürst von Hohenlohe, für den er eine persönliche Verehrung hege, der-
selben angehöre. Ich erfuhr, daß der mir wohlwollend gesinnte Mann
Herr von Swaine ist. Ich wollte ihm die Freude nicht verderben und
unterließ es, ihm zu sagen, daß ich keineswegs zur freikonservativen Fraktion
gehöre, doch wurde ihm das von andrer Seite gesagt. Seitdem ist er
noch stiller als vorher.
Gestern, am 22., war erst eine Beratung der süddeutschen Abgeordneten,
die zu keinem Resultat führte, wo wir aber hörten, daß die Württem-
berger bereits der nationalliberalen Partei beigetreten seien. Ohne Zweifel,
um ihren bayrischen Gesinnungsgenossen den Rang abzulaufen! Um
12 Uhr war Audienz aller fürstlichen Personen beim Kaiser. Es wimmelte
von roten Johanniterröcken und andern Uniformen. Abenteuerliche media-
tisierte Gestalten, die ihre Schlösser verlassen hatten, um dem Deutschen
Kaiser aufzuwarten. Um 1 Uhr war Cour des Bundesrats, wozu auch
der Alterspräsident des Reichstags, der fünfundachtzigjährige Freiherr
von Frankenberg, und die Präsidenten des Zollparlaments geladen waren.
So kam ich zu dieser Vorstellung. Der Kaiser begrüßte die Versammlung
mit einer Rede, worin er sagte, Deutschland habe ihn, ohne daß er es
gesucht, an die Spitze gestellt, und dann Wünsche für das Gedeihen des
Reiches anknüpfte und auf die Pflichten hinwies, die allen oblägen.
Um 5 Uhr war großes Festessen in Arnims Hotel, wo der gesamte
Reichstag tafelte. Ich saß zwischen Roggenbach und Herrn von Oheimb,
mit welchem ich vor dreißig Jahren in Bonn studiert hatte. Frankenberg
brachte als Alterspräsident den Toast auf den Kaiser aus. Andre Toaste
waren verboten „durch die stets befolgte Sitte“. Abends große Illumi-
nation. Um 9 Uhr großes Konzert im Palais des Kaisers. Wieder
fabelhafte Uniformen, Ordensbänder und Fürstlichkeiten beiderlei Geschlechts.