Full text: Denkwürdigkeiten des Fürsten Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst. Zweiter Band. (2)

Straßburg (1885 bis 1891) 509 
Marschall besprochen wurde, war das Erscheinen Herbert Bismarcks, der 
in einer offenen Huitressortskalesche von Henckel angefahren kam. Ich 
sah ihn in der Kapelle, wo er sich sehr unbefangen bewegte. Nach Tisch 
soll er durch seine Freunde am Hof, Eulenburg, Pückler, Lehndorff u. a. 
in die Nähe des Kaisers gedrängt worden sein. Der Kaiser sprach aber 
nicht mit ihm. Darüber große Entrüstung unter den Bismarckianern. 
Sie behaupteten, der Kaiser habe Herbert Bismarck sagen lassen, er werde 
mit ihm reden. Das kann aber nicht wahr sein. Denn wenn der Kaiser 
jemanden das sagen läßt, so schneidet er ihn nicht so auffallend. Man 
hatte gehofft, eine Annäherung zu bewerkstelligen und damit Caprivis 
Stellung zu erschüttern. Das ist nun mißlungen. 
Münsters Stellung ist nicht erschüttert. Man ist hier der Meinung, 
daß er noch gute Dienste in Paris leisten könne. 
Berlin, 22. Januar 1894. 
Die gestrige Anwesenheit Herbert Bismarcks beim Ordensfest läßt 
die Gemüter noch nicht zur Ruhe kommen. Im Kasino wird dem Keiser 
vorgeworfen, er habe Herbert Bismarck sagen lassen, er wolle ihn sprechen, 
und habe ihn dann geschnitten. Die Wahrheit ist, daß Eulenburg durch 
Kanitz und Blumenthal Herbert in die Nähe des Kaisers hat bringen 
lassen. Wenn der Kaiser mit ihm gesprochen hätte, so würden die Gegner 
Caprivis dies für sich ausgebeutet haben. Der Kaiser war heute bei 
Marschall und schimpfte über Herbert. Trotzdem hat er gleichzeitig einen 
Adjutanten mit Wein nach Friedrichsruh geschickt und dem Fürsten seine 
Freude aussprechen lassen über seine Genesung. Bismarck hat in einem 
verbindlichen Schreiben geantwortet und gesagt, er werde nach dem Geburts- 
tage hierher kommen, um dem Kaiser persönlich zu danken. Darüber nun 
wieder große Aufregung. Meine Freunde im Auswärtigen Amt sind etwas 
beunruhigt, weil sie fürchten, daß Bismarck dem Kaiser raten könnte, einen 
andern Reichskanzler zu wählen, und Holstein meinte sogar, ich solle dem 
Kaiser raten, mich mitzuzuziehen, wenn er Bismarck empfinge! Das werde 
ich aber natürlich nicht tun. Hätte ich Gelegenheit, den Kaiser zu sprechen, 
so könnte ich ihm vielleicht raten, einen Zeugen beizuziehen. Aber jeden- 
falls ist Vorsicht nötig. Käme ein Bismarcksches Regime, so würde ich 
natürlich nicht mehr lange in Straßburg bleiben, sondern müßte einem 
Freunde Bismarcks Platz machen. Für das Zustandekommen des russischen 
Handelsvertrags ist jedenfalls die Bismarcksche Annäherung von ent- 
scheidender Bedeutung. Die Konservativen und Caprivi-Gegner trium- 
phieren heute Abend. Ich glaube aber immer noch, daß die Sache nicht 
so schlimm verlaufen wird, wie sie aussieht. Jedenfalls ist es gut, daß 
ich jetzt hier bin.
	        
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