510 Straßburg (1885 bis 1894)
Berlin, 25. Januar 1894.
Heute Morgen ging ich in den Reichstag, um 4 Uhr zu Holstein,
wo ich Pourtales fand, der mir versprach, mit dem Zeremonienmeister
Kanitz über den Rang des Statthalters zu sprechen. Ein solcher existiert
zurzeit nicht. Von der bevorstehenden Ankunft Bismarcks (morgen 1 Uhr)
war viel die Rede. Die Sache hat ihre Gefahren. Der Empfang Bis-
marcks, der durch Prinz Heinrich abgeholt und ins Schloß gefahren werden
soll, wird den Kaiser etwas in den Schatten stellen und die Monarchie
schädigen. Anderseits wird das deutsche Publikum sehr erfreut sein und
dem Kaiser Dank wissen, daß er diesen Schritt zur Versöhnung getan hat.
Caprivi, mit dem ich heute Abend mit Philipp Ernst und Alexander bei
Winterfeldt aß, gesteht zu, daß er von der Absicht des Kaisers nicht
informiert war. Er erträgt das mit Resignation. Ich möchte unter
solchen Umständen nicht Reichskanzler sein. Indessen ist es gut, daß
er diese Resignation besitzt und wir ihn behalten, wenn nicht Bismarck
bei seinem Besuche Mittel und Wege findet, ihn beim Kaiser zu verdächtigen.
Caprivi hat sich in dem ganzen Gespräche heute Abend als ein anständiger,
ehrenhafter, kaisertreuer Mann gezeigt. Gott gebe, daß dieser Sturm an
ihm vorübergehe!
Berlin, 27. Januar 1894.
Gestern war also der große Tag, wo der Besuch Bismarcks statt-
fand. Schuwalow hatte mich und Alexander zum Frühstück eingeladen,
um von dort die Vorbeifahrt zu sehen. Um 1 Uhr kam der Wagen, ein
zugemachter Galawagen, in dem Bismarck mit dem Prinzen Heinrich saß.
Das sehr zahlreich versammelte Publikum begrüßte den Wagen mit Hoch,
indessen war von einem großen Enthusiasmus nichts zu spüren. Der
Empfang unter dem Portal durch den Kaiser, der von seinem Generalstab
und Hof umgeben war, soll sehr herzlich gewesen sein. Bismarck ging
mit dem Kaiser zur Kaiserin und frühstückte dann allein mit den Maje-
stäten. Er fuhr später zur Kaiserin Friedrich, dinierte dann um 6 Uhr
in seinem Zimmer, wozu auch seine Söhne und die Deputation seines
Regiments geladen waren und wo der Kaiser nur assistierte. Um 7 Uhr
fuhr er nach Friedrichsruh zurück. Der Kaiser wurde, als er Nachmittags
die Linden entlang ritt, mit großem Enthusiasmus empfangen. Es ist
sicher, daß diese Aussöhnung dem Kaiser viele Popularität in ganz Deutsch-
land erworben hat.
Nachmittags gab ich meine Karte bei Bismarck ab. Dann fuhr ich
zu Miquel, der die Aussöhnung sehr billigt. Er erzählte, der Hauptärger
Bismarcks bei seinem Rücktritt sei der gewesen, daß der neue Kurs dem
mit Rußland verabredeten Vertrage keine weitere Folge gegeben habe.
Der Vertrag, so sagt Miquel, habe das Abkommen getroffen, daß Deutsch-