Straßburg (1885 bis 1894) 511
land Rußland im Orient freie Hand lasse, wogegen sich Rußland ver-
pflichte, bei einem Kriege mit Frankreich neutral zu bleiben, selbst wenn
Oesterreich sich im Orient beteilige.
Heute früh war Gottesdienst in der Schloßkapelle und Cour. Ich
hatte Gelegenheit, dem Kaiser zum heutigen und zum gestrigen Tage zu
gratulieren, was er sehr gnädig aufnahm. Heute Diner bei Caprivi.
Morgen früh Abreise.
Berlin, 27. Januar 1894 Abends.
Heute Abend war Galatheater in der Oper. Ich war in der Pro-
söeniumsloge mit den Botschaftern und Botschafterinnen. Es wurde „Fer-
nand Cortez“ von Spontini gegeben, die assommanteste Oper der Welt,
und dann lebende Bilder.
Im Zwischenakt war Cercle im Foyer. Erst sprach ich mit den ver-
schiedenen Monarchen, den Königen von Württemberg und von Sachsen,
dem Großherzog von Oldenburg und andern. Dann ließ mich die Kaiserin
rufen, bei der ich mich verabschiedete. Bald darauf kam auch der Keiser,
dem ich mich empfahl, weil ich morgen abreise. Wir kamen auf den
gestrigen Besuch Bismarcks zu sprechen und die günstigen Folgen, die der-
selbe für den Kaiser haben werde. „Ja,“ sagte der Kaiser, „jetzt können
sie ihm Ehrenpforten in Wien und München bauen, ich bin ihm immer
eine Pferdelänge voraus. Wenn jetzt die Presse wieder schimpft, so setzt
sie sich und Bismarck ins Unrecht.“ Ich erwähnte, daß die rabiaten
Bismarckianer mit dem Besuch gar nicht zufrieden gewesen seien und daß
sie verlangt hätten, der Kaiser müsse nach Friedrichsruh gehen. „Das
weiß ich wohl,“ sagte der Kaiser, „aber darauf hätten sie lange warten
können. Er mußte hierher kommen.“ Im ganzen sprach der Kaiser sehr
vernünftig und entschieden, und es macht mir gar nicht den Eindruck, als
wolle er jetzt alles ändern.
Berlin, 18. März 1894.
Sonnabend war ich zur kaiserlichen Frühstückstafel um 1¼ geladen.
Ich fand Caprivi, Marschall, Werder, Thielmann und einige andre Räte
des Auswärtigen Amts. Bei Tisch saß ich neben dem Kaiser. Ich fragte
ihn, ob es richtig sei, daß er dem Oberzeremonienmeister Kanitz habe sagen
lassen, daß er entweder den Dienst verlassen oder für den Vertrag stimmen
solle, was er energisch bejahte. Nach Tisch zeigte uns der Kaiser seine
türkischen Zimmer, die sehr reich ausgestattet sind mit Teppichen und Decken,
meistens Geschenken des Sultans. Ich fand den Kaiser kräftig aussehend,
alle Gerüchte von Krankheit sind böswillige Erfindungen derjenigen, die
auf eine Regentschaft spekulieren.