Full text: Denkwürdigkeiten des Fürsten Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst. Zweiter Band. (2)

Die Reichskanzlerschaft und das Lebensende (1894 bis 1901) 519 
Chrysander war, waren anwesend. Man ging gleich zum Frühstück. Ich 
fand den Fürsten sehr wohl aussehend, seine Stimme aber schwächer als 
sonst, was vielleicht daher kam, daß er mit dem Frühstück auf mich 
gewartet hatte und deshalb, wie er selbst sagte, hungrig und etwas müde 
war. Nach einigen Gläsern Moselwein war er wieder frisch. Ich ent- 
ledigte mich gleich beim Frühstück des kaiserlichen Auftrags und sagte dem 
Fürsten, daß der Kaiser ihn zum Staatsrat einberufen werde. Das schien 
ihn sehr angenehm zu berühren. Ich fügte hinzu, daß ihm die Stelle des 
Vizepräsidenten offen bleibe. Es war dann noch vom Kanitzschen Antrage 
und von der landwirtschaftlichen Notlage die Rede, und Bismarck riet, 
sich nicht ganz ablehnend gegen den Antrag zu stellen. Er bekäme doch 
keine Majorität im Reichstage. Im übrigen können keine großen Maß- 
regeln, sondern nur kleine Maßregeln helfen. Ueber die Umsturzdebatte 
sprach er beifällig. Ich hätte recht getan, mich nicht in Einzelheiten zu 
verlieren. Bismarck sprach dann noch von seinem Lieblingsthema, dem 
Ressortpartikularismus, von dem Neide der Deutschen, insbesondere seiner 
junkerlichen Standesgenossen, die es ihm nicht verzeihen könnten, daß er 
sich über sie erhoben habe und Fürst geworden sei. In dieser Beziehung, 
meinte er, hätte ich eine viel günstigere Stellung als Reichsfürst. Mich 
könnten die Junker nicht beneiden. 
Nach dem Frühstück fuhren wir im Schlitten in den Wald. Unter- 
wegs sprachen wir von Miquel, Scholz, dem Komptabilitätsgesetz, das er 
mißbilligt, dann von dem Vertrag mit Rußland, den Caprivi nicht wieder 
erneuert habe, weil ihm die daraus folgende Politik zu kompliziert gewesen 
sei. Die Schwierigkeit meiner Stellung liege in den unerwarteten Ent- 
scheidungen Seiner Majestät. 
Als ich von der Uebernahme des Postens sprach und mein Bedauern 
äußerte, daß ich ihn hätte annehmen müssen, meinte er, es sei eine Ehren- 
pflicht gewesen, der ich mich nicht hätte entziehen können. 
Noch ist nachzutragen, daß der Fürst eine Modifikation der Eisenbahn- 
tarife als das Mittel bezeichnete, um der Landwirtschaft aufzuhelfen. 
Zu Hause angekommen, wurde Tee getrunken, und dann fuhr ich zur 
Bahn. Der Fürst sagte beim Abschiede, er wünsche mir gute Erfolge und 
Tapferkeit. 
An den Prinzen Alexander. 
Buda, 1) 5. September 1895. 
Ich schreibe Dir an meinem Schreibtische, von dem aus ich auf die 
Wiesen und in die Laubwälder sehen kann. Das Wetter ist wunderschön 
und der Aufenthalt hier so angenehm wie nur möglich . 
  
1) Ein Jagdhaus auf den russischen Besitzungen.
	        
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