Full text: Denkwürdigkeiten des Fürsten Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst. Zweiter Band. (2)

Die Reichskanzlerschaft und das Lebensende (1894 bis 1901) 527 
Fenster. Der Zug hielt. Die roten Tscherkessen eilten herbei. Die Maje- 
stäten stiegen aus. Umarmung, Vorstellung, Ehrenwache abschreiten, Hymne, 
Gelaufe hin und her, alles wie üblich. Zum Schlusse stellte ich noch 
Schischkin dem Kaiser vor. 
Um 11½ Uhr kam Osten-Sacken mit Schischkin zu mir. Bei der 
Unterredung wurde auch die Orientfrage berührt. Schischkin sprach gleich 
seine Freude aus, daß die Großmächte einig seien. Dem sei es zu danken, 
daß die englischen Intrigen ohne Resultat blieben. Die geringste „fissure“ 
würde von den Engländern gegen die Türken benutzt werden. Auch dem 
Sultan gegenüber könne man nicht fest genug zusammenhalten. Er spekuliere 
stets auf die Uneinigkeit der Mächte. Schischkin sprach sich für Aufrecht- 
erhaltung des Status quo aus. Dies sei auch die Ansicht seines Kaisers. 
Er war voll Submission und empfahl sich schließlich meinem Wohlwollen. 
Um 6 Uhr fuhr der russische Kaiser bei mir vor und sagte dem 
Portier, man möge es mir sagen. Um 7 Uhr war Diner bei dem Kaiser. 
Ich saß zwischen dem Erbprinzen von Meiningen und Woronzow, gegen- 
über der Kaiser und die russische Kaiserin. Natürlich war lärmende Tafel- 
musik. An Konversation war wenig zu denken. Die Rede des Keisers, 
der die alte Tradition, die guten Beziehungen zu Rußland hervorhob, 
war sehr gut. Der Kaiser Nikolaus antwortete mit der Versicherung, 
„du'’il était animé des meéemes sentiments de tradition“ wie Kaiser Wil- 
helm. Nachher war Cercle und um 9 Uhr Zapfenstreich, der bis 11 Uhr 
dauerte. Man saß und stand am Fenster und auf der Terrasse vor dem 
Schlosse in Wind und Zug. Der Aufzug der siebenhundert Musiker war 
imposant. Im übrigen war der musikalische Lärm betäubend, und von 
einem vernünftigen Gespräche war keine Rede. 
Breslau, 6. September 1896. 
Heute Nachmittag 2 Uhr war ich zur Audienz bei dem russischen 
Kaiser bestellt. Er empfing mich wie immer sehr freundlich. Die Unter- 
redung ging bald auf das politische Gebiet über. Der Kaiser bedauert 
lebhaft den Tod von Lobanow, der ihm eine große Stütze gewesen sei. 
Nun müsse er sich selbst entschließen und arbeiten. Zu seiner Befriedigung 
scheine die Lage der Dinge im Orient sich zu beruhigen. Die Unruhen 
in Konstantinopel seien beendet, und auch aus Kreta habe er heute die 
Nachricht erhalten, daß sich die Bewohner der Insel beruhigt hätten 
und eine Beilegung der Kämpfe in Aussicht stehe. Nach der Ansicht des 
Kaisers ist England sowohl in Armenien wie in Kreta an der ganzen 
Bewegung schuld. Gegen die Politik der englischen Regierung sprach Seine 
Mgjestät das entschiedenste Mißtrauen aus: „Jaime beaucoup I’Angle- 
terre et les Anglais qdui me sont sympathiques, mais je me méfie de
	        
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