Im Reichstage (1870 bis 1874) 47
tuieren wollten und die Frage der Vereinigung der neuen Fraktion mit
den Freikonservativen einer späteren Zeit vorbehielten. Münster und
Bethusy drängten aber zum Mitgehen. Ich fuhr also hin und gab dort
die Erklärung ab, die den Herren natürlich sehr unangenehm war.
Den Abend beim Kaiser zum Tee. Gestern, Samstag, lange Sitzung
im Komitee über die Frage des Programms. Dann Abteilung. Dann
noch einmal Komitee. Um 4½ Diner beim Kronprinzen. Ich saß neben
ihm. Interessantes Gespräch über den König Ludwig und die bayrische
Armee. Als ich ihm sagte, wir hätten gehofft, ihn in München zu sehen,
antwortete er: „Sagen Sie selbst, ob es von mir taktvoll gewesen wäre,
nach München zu kommen, nachdem sich der König in dieser Weise seiner
Armee gegenüber benommen hat?“ Ich konnte darauf nur schweigen. Seine
Aeußerungen waren sehr vorsichtig, doch merkte ich wohl, wie man den
König beurteilt. Vom Prinzen Otto sagt er, daß er Mut habe, aber nie
pünktlich sei.
Abends bei Bismarck. Es waren einige Damen und auch mehrere
Herren da. Viktor und Ameélie ebenfalls. Ich wurde auf ein Kanapee
gesetzt vor einen Tisch mit Teetassen und Bierflaschen, auch Heringe und
Austern waren da. Bald kam die neue Durchlaucht und setzte sich zu
mir. Zuerst vertilgte er eine Unzahl Austern, Heringe und Schinken und
trank dazu Bier mit Sodawasser. Wir sprachen anfangs über Varzin,
Holzhandel, Ackerbau u s. w. Nach und nach wurde er mitteilender und
kam auch auf die Politik zu sprechen. Ueber die Zustände in Paris sagte
er, daß er es Thiers vorausgesagt habe, daß die französische Regierung
nicht in der Lage sein werde, das bewaffnete Gesindel ohne deutsche Hilfe
zu entwaffnen. Thiers habe es nicht glauben wollen. Auf die deutsche
Frage übergehend, meinte er, der Reichstag mache ihm den Eindruck wie
das, was ihm seine Eltern von seiner Kindheit erzählt hätten. Er habe
einen Garten bearbeitet und da jeden Tag die Pflanzen herausgezogen,
um zu sehen, wie dick die Radieschen seien. So mache es der Reichstag
mit sich selbst. Er habe einmal eine Schonung angelegt, und da habe
ihm sein Förster gesagt: „Herr Graf, gehen Sie einmal drei Jahre nicht
in die Schonung!“ Man müsse im Deutschen Reiche die Dinge sich von
selbst entwickeln lassen und Geduld haben. Er habe nur einmal gefürchtet,
und das sei in Versailles gewesen. Wenn nämlich Bayern damals nicht
abgeschlossen hätte, so würde auf Jahrhunderte hinaus eine feindliche
Stellung zum Süden daraus gefolgt sein. Es sei möglich, daß er sich
geirrt habe, indem er uns so große Konzessionen gemacht; allein das sei in
der Politik nicht zu ändern, da müsse der später erst eintretende Erfolg
abgewartet werden, ehe man einen Staatsmann verurteile. So wurde
viel hin und her gesprochen. Endlich um ½12 brach ich auf.