538 Die Reichskanzlerschaft und das Lebensende (1894 bis 1901)
Journal.
Berlin, 7. März 1900.
Als ich gestern Abend mit den Agrariern sprach und das Bedenkliche
hervorhob, das einmal in dem Hereintragen des Prohibitionssystems in
unfre Zollgesetzgebung 1) und dann in der Verteuerung des Fleisches im
Hinblick auf die Waffe liege, die wir damit den Sozialdemokraten bei den
Wahlen geben, wurde mir von W. entgegengehalten, die Landbevölkerung
würde ebenso erbittert sein, wenn man ihr die Möglichkeit der Erhöhung
der Viehpreise abschneide, wie die Sozialdemokraten, wenn sie kein Fleisch
mehr zu essen bekämen. Ich finde, daß dies irrig ist. Die Zahl der
Sozialdemokraten und aller kleinen Leute, welche durch die Verteuerung
des Fleisches geschädigt werden, ist größer als die durch den Bund der
Landwirte aufgeregte Landbevölkerung. Es war, als Seine Maojestät die
Auflösung des Landtags verwarf, beschlossen worden, den Beamten die
Teilnahme an dem Bunde der Landwirte und dessen Begünstigung durch
die Behörden zu verbieten. Das ist nicht geschehen
Ansprache bei dem Festmahle zu Ehren der preußischen
Akademie der Wissenschaften bei deren zweihundert-
jährigem Jubiläum.
Ich freue mich, Gelegenheit zu haben, der Königlichen Akademie der
Wissenschaften öffentlich meinen Dank für die ehrenvolle Auszeichnung?)
auszusprechen, die sie mir bei ihrer zweihundertjährigen Jubelfeier hat
zuteil werden lassen.
Selbstverständlich verdanke ich diese Ehrung nicht wissenschaftlichen
Leistungen, sondern dem Interesse, das ich der Wissenschaft im allgemeinen
gewidmet habe, und der Fürsorge für dieselbe, zu der ich in meinen ver-
schiedenen amtlichen Stellungen berufen war.
Diese Berührung mit der Wissenschaft gehört zu dem besten Teile
meiner amtlichen Tätigkeit. Ihr verdanke ich heute die Ehre und die
Freude, hervorragende Gelehrte um mich zu versammeln und die Männer
zu begrüßen, die aus der Ferne herbeigeeilt sind, um mit uns dies Jubel-
fest zu feiern.
Diese ansehnliche Vereinigung hat für mich eine besondere Bedeutung.
Meine Herren, ich bin alt geworden in dem Glauben an den Fortschritt
der Menschheit, an den aufsteigenden Fortschritt.
Nun gestehe ich, daß mein Glaube in den letzten Jahren etwas er-
schüttert worden ist. Der naturnotwendige Kampf ums Dasein hat in
1) Durch das Fleischbeschaugesetz.
2) Die Akademie hatte den Fürsten zu ihrem Ehrenmitglied ernannt.