Full text: Denkwürdigkeiten des Fürsten Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst. Zweiter Band. (2)

540 Die Reichskanzlerschaft und das Lebensende (1894 bis 1901) 
die einstige Bedeutung des Deutschen Reichs und die Mißstimmung über 
die Zerrissenheit und Ohnmacht Deutschlands, die sich mehr und mehr 
verbreitete, ließen uns nicht zum ungestörten Genuß des materiellen Be- 
hagens kommen. Der Einheitsgedanke, den zunächst die studierende Jugend 
pflegte, ging in immer weitere Kreise über. Er bildete das Ferment der 
revolutionären Bewegungen des Jahres 1848. Schon glaubten wir uns 
am Ziel, als jene Bewegung an der Ungunst der Verhältnisse scheiterte. 
Da ein mächtiges Reich nicht ohne Flotte gedacht werden kann, so mußte 
der Gedanke an die Flotte verschwinden, als das Reich verschwand. Erst 
zwanzig Jahre später ward das Reich dank den Siegen der vereinten 
deutschen Heere unter der jubelnden Zustimmung des deutschen Volkes ge- 
gründet. Auch jetzt trat sofort die Forderung einer deutschen Flotte auf. 
Man war einig in der Ueberzeugung von der Notwendigkeit derselben, 
die denn auch von da an in ihrer Entwicklung stetig fortgeschritten ist. 
Meinungsverschiedenheiten traten seitdem nur auf in bezug auf die Größe 
der Flotte und die Höhe der zu verwendenden Mittel. Der Weg, den 
man einschlug, um die Mittel für Heer und Flotte zu beschaffen, führte 
zu der Reform unfrer Zollgesetzgebung, und dies hatte einen industriellen 
Aufschwung, eine Entwicklung unsers Handels zur Folge, die das Ver- 
langen nach dem Schutze unsers Handels durch eine Flotte mit erneuter 
Kraft hervortreten ließ. Es handelt sich da nicht allein um den Schutz 
einzelner Schiffe oder um den Nachdruck, mit dem Forderungen in frem- 
den Ländern zu unterstützen sind, sondern es handelt sich darum, unfre 
Existenz als handeltreibende Weltmacht zu sichern. Das Deutsche 
Reich darf nicht abhängig sein von dem guten Willen andrer mächtigen 
Nationen; es muß auf eignen Füßen stehen und auf Achtung zählen 
können. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit einer starken Flotte. Die 
neueste Geschichte lehrt, wohin ein Land kommt, das eine ungenügende 
Flotte hat. Zum Schlusse möchte ich diejenigen, denen die Opfer, die die 
Flotte verlangt, zu lästig erscheinen, nochmals daran erinnern, daß die 
idealen Einheitsbestrebungen, das Drängen nach einer Weltmachtstellung, 
die aus dem deutschen Volke hervorgegangen sind, uns auf die 
Bahn geführt haben, auf der wir uns befinden und auf der wir nicht 
umkehren können. 
Nach dem Gange, den die zweite Lesung der Gesetzesvorlage ge- 
nommen hat, wird diese Auffassung ja auch von der großen Majorität 
dieses hohen Hauses geteilt, und ich zweifle nicht, daß der Reichstag in 
gewohntem Patriotismus seine Beschlüsse zum Wohl des Vaterlandes 
fassen wird.“) 
1) Das Flottengesetz wurde in dieser Sitzung mit 201 gegen 103 Stimmen 
angenommen. 
 
	        
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