Full text: Denkwürdigkeiten des Fürsten Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst. Zweiter Band. (2)

48 Im Reichstage (1870 bis 1874) 
28. März. 
Heute lange Fraktionssitzung. Man einigte sich unter meinem Vorsitz 
über ein Programm. Einige verschämte Ultramontane wurden durch einen 
Artikel des Programms gezwungen, Farbe zu bekennen, und werden wohl 
nicht beitreten. Abends bei der Königin um ½8 Uhr. Doch wurden wir 
unterbrochen durch die Ankunft des Königs von Sachsen, so daß die 
Audienz nur eine Viertelstunde dauerte. 
Programm der „liberalen Reichspartei“ vom 28. März 1871. 
1. Den Einigungspunkt für unsre gemeinsame Tätigkeit als Mit- 
glieder des Reichstages erblicken wir in der aufrichtigen Mitwirkung zur 
praktischen Durchführung der unter dem Einflusse der großen Ereignisse 
der jüngsten Vergangenheit vereinbarten Verfassung des Deutschen Reiches. 
2. Wir werden die Befugnisse der Reichsgewalt wie die Autonomie 
der Bundesglieder auf der Grundlage der Reichsverfassung gleichmäßig 
wahren, jeder unnötigen Zentralisation zwar entgegentreten, aber zu solchen 
Kompetenzerweiterungen oder sonstigen Verfassungsänderungen, für welche sich 
im Interesse gesunder Entwicklung ein Bedürfnis herausstellt, gern mitwirken. 
3. Neben der organischen Einheit ist es die Gewähr der persönlichen, 
bürgerlichen und politischen Freiheit, welche das deutsche Volk verlangt. 
Wir werden diesem Verlangen auf allen einschlägigen Gebieten der Reichs- 
gesetzgebung, namentlich bei der Regelung des Preß= und Vereinswesens, 
im Sinne wahren Fortschritts entschieden Rechnung tragen. 
4. Wir werden den Zeitpunkt gewissenhaft wahrnehmen, in welchem 
die Lasten des Volkes ohne Gefährdung der Sicherheit des Reiches in 
nachhaltiger Weise gemindert werden können. 
5. Wir lassen es dahingestellt, ob nicht in der Folge es nötig werden 
kann, das Verhältnis zwischen Staat und Kirche mehr oder minder in die 
Zuständigkeit der Reichsgesetzgebung zu ziehen, halten aber zurzeit aus- 
reichende Gründe dafür nicht gegeben. Jedenfalls würden wir der Auf- 
nahme eines die Selbständigkeit der Religionsgesellschaften verbürgenden 
Satzes in die Reichsverfassung nur bei gleichzeitigem Erlaß eines den 
Gegenstand eingehend regelnden und die unentbehrlichen Rechte des 
Staates sowie die volle Freiheit der einzelnen Staatsangehörigen auf dem 
religiösen Gebiete wahrenden Reichsgesetzes zustimmen. 
Berlin, 16. April 1871. 
Rückkehr nach Berlin den 14. Abends. Früh am Samstag zu Simson, 
um ihn über das Fest am Montagt) zu befragen. Er teilte mir mit, 
  
1) Fest der Stadt Berlin zu Ehren des Reichstags.
	        
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