Im Reichstage (1870 bis 1874) 57
Diplomat bekannt ist, wurde von Bismarck gar nicht zugelassen. Er unter-
handelte nur mit Favre und Pouyer-Quertier, die von diplomatischen
Unterhandlungen nichts verstehen. Daher erklärt es sich, daß die Be-
dingungen in Frankfurt für Deutschland so günstig ausgefallen sind.
Er erzählte dann von den früheren Verhandlungen mit Thiers, er-
wähnte die bekannte Ulanengeschichte und machte sich über Thiers lustig.
Dieser habe einmal bei der Unterhandlung behauptet, Rouen liege auf
dem linken Ufer der Seine. Als dies Bismarck bestritt, bemerkte Thiers
ganz pikiert: „Vous éötes le vainqueur et nous sommes les vaincus,
Vous M'avez qu'a décider.“ Nun ließ Bismarck eine Karte kommen, und
da zeigte Thiers auf die Eisenbahnlinie, die ein dicker schwarzer Strich
war, worauf ihm Bismarck bemerklich machte, daß dies nicht die Seine,
sondern die Eisenbahnlinie sei. So klärten sich Thiers' geographische Be-
griffe auf.
Auch die Szene erzählte er, wie Thiers und Favre in ihn hinein-
gesprochen hätten, und als er sich nicht mehr habe retten können, habe er
ihnen gesagt, er könne auf französisch gegen ihre Beredsamkeit nicht auf-
kommen und werde deshalb nun deutsch antworten. Darauf habe er an-
gefangen, mit ihnen deutsch zu sprechen. Darauf große Verzweiflung.
Favre sei im Zimmer herumgelaufen, und Thiers habe nichts mehr gesprochen
und ihm endlich ohne zu sprechen einen Zettel hingehalten, auf dem er die
Konzession, die Bismarck wollte, geschrieben hatte. Er habe nur gesagt:
„Est-ce due cela fait votre affaire?“ Worauf Bismarck geantwortet:
„Parfaitement“, und darauf sei alles wieder in Ordnung fortgegangen.
Daraus erklärt sich, daß Thiers und Favre von Bismarck sagen
konnten: „Ciest un fier barbare.“ So erzählte Bismarck selbst.
18. Mai 1871.
Gestern infolge des Maitranks Kopfschmerz. Sitzung bis 4½ Uhr.
Abends die Mittwochsversammlung der Abgeordneten bei Bier im „Leip-
ziger Garten“. Mit Brockhaus, Schricker, Weber und Stadthagen soupiert.
Allgemein wird wieder von meinem Eintritt ins Ministerium gesprochen.
Ich weiß davon nichts.
Berlin, 26. Mai 1871.
Gestern war noch ein politisch belebter Tag. Auf der Tagesordnung
des Reichstags stand die Elsaß-Lothringer Sache in dritter Beratung.
Da erschien Bismarck und erklärte plötzlich, daß er den Reichstag bitte,
das Amendement, welches wir in zweiter Beratung angenommen hatten
und welches die Kontrahierung von Schulden für Elsaß und Lothringen
von der Zustimmung des Reichstags abhängig macht, wieder zurückzunehmen.
Er stellte die Sache so, daß er es zu einer Vertrauens= oder Mißtrauens-