Full text: Denkwürdigkeiten des Fürsten Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst. Zweiter Band. (2)

Im Reichstage (1870 bis 1874) 59 
Gefahren in der Beratung des Pensionsgesetzes und fürchtet einen Kon- 
flikt, „den er dem neuen Reiche nicht in die Wiege legen möchte“. Nach- 
her kam ich noch mit Roggenbach zusammen, der an dem Gedanken fest- 
hält, daß es nur Scheu der Nationalliberalen sei, wenn sie jetzt das 
Pensionsgesetz vertagen wollten. Man solle es durchmachen, denn jetzt 
käme man besser damit zu Ende als nach sechs Monaten. 
Sehr gespannt war ich, was mir der Kaiser heute beim Diner sagen 
würde. Man hatte verbreitet, er und der ganze Hof seien gegen den 
Reichstag irritiert. Ich fand den Kaiser wie immer. Er kam zuerst auf 
mich zu, sprach dann mit Wilhelm Löwenstein, den er seit dem Kriege 
nicht gesehen hatte, und meinte: „Wir sind seitdem ein ganzes Stück weiter- 
gekommen," dabei faßte er mich am Arm und sagte in seiner gewohnten 
scherzhaften Weise: „Und dieser Mann hat uns dabei allerlei Schwierig- 
keiten in den Weg gelegt.“ 
Dann bei Tisch saß ich neben dem Kaiser. Ich wartete immer auf 
den Ausbruch übler Laune über den Reichstag. Es kam aber nichts. 
Endlich sagte er: „Was haben Sie heute im Reichstag gemacht?“ Ich ant- 
wortete, daß wir den Laskerschen Antrag ) verworfen hätten. Das war 
dem Kaiser sehr lieb. Als er nun immer nicht mit dem Mißfallen, das 
man mir vorausgesagt hatte, herauskam, fing ich selbst davon an und 
sagte, der Reichstag daure sehr lange, und ging dann über auf seine 
Haltung. Im allgemeinen sei der Reichstag doch sehr gut gesinnt, aller- 
dings hätte er einige Anträge gestellt, die Mißfallen erregt hätten, allein 
dies rechtfertige nicht die Angriffe, die in den offiziösen Zeitungen gegen 
uns geschleudert worden seien. Zu meinem Erstaunen meinte der Kaiser 
nur, ja, die Minister seien darüber irritiert. Dann sprach er seine 
Befürchtungen darüber aus, daß der Reichstag das Pensionsgesetz teilen 
könne, d. h. die Pensionen für die Kriegsinvaliden in einem andern Gesetz 
beraten wolle als die für die Friedensinvaliden, und sagte, in diesem 
Falle werde man das Gesetz zurückziehen. Ich bestritt, daß dies die Ab- 
sicht der Gesamtheit des Reichstages sei. Allerdings hätte ich gehört, daß 
man den Vorschlag diskutiere, dem Kaiser einen Kredit zu bewilligen für 
die Pensionen der Kriegsinvaliden und das Gesetz beruhen zu lassen. 
Davon wußte der Kaiser nichts. Ich fragte ihn nun, ob er überhaupt 
Wert auf das Gesetz lege und es für notwendig halte, was er entschieden 
bejahte; in diesem Falle, sagte ich, sei es besser, das Gesetz jetzt durch- 
zuberaten, wo der Reichstag noch unter dem Eindruck der Ereignisse stehe. 
  
1) Der Abgeordnete Lasker hatte einen Gesetzentwurf eingebracht, nach welchem 
durch Beschluß des Reichstags Gesetzentwürfe von ungewöhnlich großem Umfange 
einer Kommission überwiesen werden könnten, welche in der Zwischenzeit zwischen 
zwei Sessionen derselben Legislaturperiode in Tätigkeit treten sollte.
	        
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