Full text: Denkwürdigkeiten des Fürsten Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst. Zweiter Band. (2)

66 Im Reichstage (1870 bis 1874) 
Schwierigkeiten gehabt haben würde. Rührende Fürsorge! Er steht 
finanziell schlecht und die Ministerbesoldung ist ihm erwünscht. Er sah 
dick und fett aus und von dem angeblichen Herzfehler:) schwieg er still. 
Dann sprach er von Völderndorff; er wisse nicht, wie er mit ihm stehe. 
Völderndorff habe um dreimonatlichen Urlaub gebeten, wolle also nichts 
mit ihm zu tun haben u. s. w. Aus allem ging hervor, daß er unter 
dem Einfluß von Lutz steht. Ich riet ihm, Völderndorff in dem Referat 
zu lassen, wo er sei, da ich wußte, daß er dies wünschte. Dann bat ich 
ihn, darauf hinzuwirken, daß der Reichstag nicht am 1. Oktober, sondern 
am 15. berufen werde. Dann kann ich länger in Aussee bleiben, und zum 
Landtag hierher gehe ich nicht. 
Abends mit Philipp Ernst im Zirkus. Hier fand ich Holnstein, der 
mich eine Strecke begleitete und sehr verlegen und konfus sprach. Auch 
er ist, wie ich deutlich sah, unter dem Einfluß von Lutz. Er behauptete 
auch, daß es nur in meinem Interesse sei, wenn ich jetzt nicht Minister 
würde, beklagte sich, daß die Presse darüber räsoniere, daß ich nicht gefragt 
worden sei, schob die Schuld auf Völderndorff. Ich erwiderte, daß 
Völderndorff und ich daran sehr unschuldig seien, und sagte ihm direkt, 
ich wisse, daß Lutz gegen meinen Wiedereintritt ins Ministerium gewirkt 
habe, was Holnstein zugab. Dieser Einfluß von Lutz ist überall zu sehen 
und ekelt mich so an, daß ich nichts mehr von der Sache wissen will. 
Ich werde nun abwarten, wie es mit meinem Rechenschaftsbericht wird. 
Dieser ist aber jetzt unumgänglich notwendig. Der Aerger über die ganze 
Wirtschaft in München hat für mich das Gute, daß er mir keine Ruhe 
läßt und mich zum Arbeiten antreibt. Es ist für die menschliche Natur 
besser, solchen aufrüttelnden Aerger mit sich herumzutragen, als sich in 
einer wohlwollenden Stimmung zu ergehen. 
München, 11. September 1871. 
Am Donnerstag dem 7. erhielt ich ein Telegramm von Assessor Thele- 
mann aus Forchheim, der mir mitteilte, er habe die Versammlung der 
liberalen Wähler auf Sonntag den 11. angesetzt. Demzufolge reiste ich 
Sonnabend ab, ging mit Gustav bis Ansbach und von da nach Erlangen, 
wo ich nach vielfachen Verzögerungen um 10 Uhr ankam und in der 
„Glocke“ übernachtete. Während ich das gute Erlanger Bier trank und zu 
Abend aß, kam die Wirtin, um mir Gesellschaft zu leisten, und knüpfte ein Ge- 
spräch über die teuren Fleisch= und Brotpreise, über Arbeiterunruhen u. s. w. 
an. Dann kamen einige Erlanger Bürger von einem „Keller“, wo sie 
so viel Bier getrunken hatten, daß sie alle in heiterer Stimmung waren. 
  
1) Siehe Bd. I S. 416.
	        
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