Im Reichstage (1870 bis 1874) 75
Hätte ich die Fragen anders gestellt, mehr Nachdruck darauf gelegt, über-
haupt die Versammlung auf die Tragweite des Windthorstschen Antrags
aufmerksam gemacht, so würde er nicht angenommen worden sein. Ich
und viele andre gingen in die Falle, die Windthorst gestellt hatte, um
Unheil anzurichten. Simson, dem ich nachher zuredete, den Antrag nicht
zu ernst zu nehmen, sagte, er wolle sich die Sache überlegen. Den 23.
aber kam er nicht in die Sitzung. Ich präsidierte, und während der
Sitzung kam der Brief, in welchem er sein Präsidium niederlegte. Ich
übergab Weber das Präsidium und ging hinunter, um mich zu beraten
mit den Chefs der Fraktionen. Wir kamen überein, daß ich die Wahl
des Präsidenten für denselben Abend ansetzen solle. Das wurde nun
zum Erstaunen des Hauses angekündigt. "
Um 7 Uhr war Versammlung der Kommissarien der Gruppe III, in
der ich den Vorsitz führte. Roon war da. Bethusy brachte mit einer
wahnsinnig schwungvollen Rede den Antrag auf Verlängerung des Pausch-
quantums aus auf drei Jahre. Roon erst dagegen, 0) erklärte endlich, den
Antrag als Gesetz selbst bringen zu wollen.
Um 8¼ gingen wir in den Sitzungssaal, wo Weber unterdessen
die Sitzung eröffnet hatte, um die Wahl Simsons vorzunehmen. Viele
Herren, welche eilig diniert hatten, waren in heiterer Stimmung. Webers
schwäbischer Akzent wurde verspottet, es wurde ihm schwer, Ordnung zu
Ordnung!“ gebraucht, aber den Abgeordneten zweimal auf die in seinen Worten
enthaltene Verletzung der Ordnung aufmerksam gemacht habe und zum Gebrauche
jener Formel nicht verpflichtet zu sein glaube. Die Entscheidung dieser Frage wurde
der Geschäftsordnungskommission überwiesen. Die Geschäftsordnungskommission
sprach sich im Sinne des Präsidenten aus. Ihr Bericht kam in der Sitzung vom
22. November zur Verhandlung. In dieser Sitzung stellte Windthorst, ohne der
Geschäftsordnungskommission, soweit es sich um ihre Auslegung des § 43 handelte,
zu widersprechen, den Antrag, die Frage an dieselbe Kommission zurückzuverweisen
mit dem Auftrage, Vorschläge zu machen, um das Verfahren, welches der Ent-
ziehung des Wortes vorhergehen muß, schärfer und bestimmter zu regeln. Fürst
Hohenlohe erklärte nun, er werde zuerst den Antrag Windthorst zur Abstimmung
bringen; werde dieser angenommen, so würde damit der Antrag der Geschäfts-
ordnungskommission als erledigt zu betrachten sein. Trotz des Widerspruchs der
Abgeordneten Schwarze und Lasker, welche ausführten, daß mit der Annahme des
die Zukunft betreffenden Antrags Windthorst die Beantwortung der von dem
Präsidenten gestellten Frage betreffend den Vorgang am 8. November, auf welche
dieser einen Anspruch habe, nicht gegeben sei, wurde die von dem Fürsten vor-
geschlagene Fragestellung beschlossen und der Antrag Windthorst demnächst an-
genommen.
1) Die Regierung hatte ihre militärischen Forderungen anfangs auf das
nächste Etatsjahr beschränkt, aber deren Erhöhung in den kommenden Jahren vor-
aussehen lassen. Am 25. beschloß der Bundesrat, sich den Vorschlag des Pausch-
quantums von 225 Talern für drei Jahre anzueignen.